Wahlkampf in Spanien:Wie die rechtsextreme Vox die Jugend verführt

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Santiago Abascal (Mitte), der Vorsitzende der Vox-Partei, bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Burgos. (Foto: Imago)

Einfache Botschaften, Wahlkampf mit Influencern, massenhaft Inhalte auf Tiktok und Instagram - Spaniens rechtsradikale Partei spricht gezielt junge Menschen an. Offenbar erfolgreich.

Von Karin Janker, Madrid

Besonders rebellisch wirkt Santiago Abascal nicht. Der Vox-Vorsitzende ist 47 Jahre alt, hat vier Kinder und ist studierter Soziologe. Aber es sei noch gar nicht lange her, sagt der Chef von Spaniens rechtsextremer Partei in seinem jüngsten Wahlkampfvideo, dass auch er 20 Jahre alt war. Er wisse deshalb sehr gut, dass es die Aufgabe der Jugend ist, rebellisch zu sein. Rebellisch zu sein heißt für Abascal: "von Großem zu träumen", "sich nicht den Auflagen der Mächtigen zu beugen", "einen sicheren Arbeitsplatz zu wollen", "auf die nationalen Symbole stolz zu sein".

Es sind einfache Botschaften, mit denen sich der Vox-Chef vor der Wahl am 23. Juli an junge Wähler richtet. Seine zweiminütige Rede an die Jugend ist unterlegt mit dramatischer Musik und diversen Fotos: Abascal schüttelt einer Ordensschwester die Hand, Abascal steht vor dem riesigen Kreuz des Franco-Mausoleums, Abascal empfängt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Vox will "punk" sein - und ist auf dem besten Wege

Vox tritt in diesen Tagen mit gewachsenem Selbstbewusstsein auf. Seit den Kommunal- und Regionalwahlen Ende Mai ist Spaniens rechtsextreme Partei in rund 100 Rathäusern und bald wohl in vier Regionalregierungen Juniorpartner der Konservativen. Die Umfragen sagen Vox zwischen zwölf und 16 Prozent der Stimmen für die Wahl Ende Juli voraus. Dann könnte die Partei auch landesweit mitregieren. Vox hat sich konsolidiert. Aber nicht nur das: Die Partei nimmt nun die jungen Wähler in den Blick. Hier gelingen ihr die größten Zugewinne.

"Die Kommunikationsstrategie von Vox ist ein durchgängiges Bombardement mit Inhalten", sagt Ana Salazar. Die Politologin ist Expertin für politische Kommunikation und beschäftigt sich mit den Strategien, mit denen Spaniens Parteien insbesondere junge Menschen erreichen wollen. Das Bild ist in ihren Augen klar: Keine Partei spricht die Jugend so aggressiv und erfolgreich an wie Vox. Die Ultrarechten begegnen den Jugendlichen dort, wo ein Gutteil deren Sozialleben stattfindet - in den sozialen Netzwerken. Konservative und Sozialisten, sagt Salazar, hätten noch nicht wirklich ein Gefühl dafür, wie man diese Kanäle erfolgreich bespielt.

20 Prozent der Wähler in Spanien sind jünger als 35 Jahre. In dieser Altersgruppe beobachtet Salazar Bemerkenswertes: Zwar seien hier wie in der gesamten Wählerschaft der konservative Partido Popular (PP) und der sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Español (PSOE) die meistgewählten Parteien. Aber die Altersgruppe, in der Vox in den vergangenen Jahren am stärksten gewachsen ist, sind die jungen Wähler zwischen 18 und 35 Jahren. Vox wolle "punk" sein, schrieb die Zeitung El País im vorigen Jahr einmal. Die Strategie scheint aufzugehen.

Das Kalkül: Wer einmal Vox wählt, wählt wieder Vox

"Vox weiß sehr gut, dass eine Investition in diese Wählergruppe eine Investition in die Zukunft ist", sagt Analystin Salazar. Junge Wähler hätten oft noch kein ausgehärtetes Weltbild, seien beeinflussbarer, sie haben das ganze Leben noch vor sich. 1,6 Millionen junge Menschen werden am 23. Juli zum ersten Mal an einer Parlamentswahl teilnehmen. "Die erste Wahl ist entscheidend", so Salazar. Hier werde eine Wählerbiografie geprägt: Wer einmal Vox wählt, wird die Partei vielleicht immer wieder wählen. Auf jeden Fall hat er keine Berührungsängste mit der extremen Rechten mehr. Eine "Strategie der Normalisierung" nennt Salazar das.

Spaniens Rechtsextreme haben sich in den vergangenen Jahren eine erstaunlich große Anhängerschaft in den sozialen Medien aufgebaut, besonders auf Tiktok und Instagram, jenen Kanälen, die ein besonders junges Publikum anziehen. Auf Instagram hat der offizielle Parteikanal von Vox 670 000 Follower. Zum Vergleich: PP und PSOE haben zusammengenommen nur 280 000. Und auf der chinesischen Plattform Tiktok, wo eine noch jüngere Zielgruppe unterwegs ist, zählt Vox 232 000 Follower, acht Mal so viele wie die Sozialisten.

Die traditionellen Parteien erreichen die jüngeren Generationen bisher kaum über die Sozialen Netzwerke. Sie versuchen den traditionellen Weg. Ministerpräsident Pedro Sánchez etwa versprach der Jugend im Wahlkampf, das Interrail-Zugticket durch Europa zur Hälfte staatlich zu bezuschussen. Das ist ein freundliches Angebot, aber keines, das die Probleme von Spaniens Jugend löst. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land ist laut Eurostat die höchste in der EU. Obwohl die Arbeitslosigkeit bei den 16- bis 24-Jährigen zuletzt gesunken ist, liegt sie nach wie vor bei 28,4 Prozent.

Ein Schlüssel zu ihrem Erfolg sind Influencer im Alter der Zielgruppe

Vox setzt auf Themen wie dieses - wenn auch ohne konkrete politische Maßnahmen vorzuschlagen. Aber vor allem bespielt die Partei die entsprechenden Kanäle, um diese Themen auch zu den jungen Leuten zu tragen. Ein Schlüssel zu ihrem Erfolg sind diverse Influencer im Alter der jungen Zielgruppe, die in diesen Tagen Wahlkampf für Vox machen.

Einer der erfolgreichsten nennt sich Wall Street Wolverine. Auf Twitter und Youtube folgen ihm jeweils knapp eine halbe Million Menschen. Víctor Domínguez, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, wurde 1995 geboren, gibt in seinen Videos eigentlich Tipps zu Themen wie Geldanlage und Kryptowährung. Er fährt Maserati und lebt inzwischen in Andorra. Um den hohen Steuern in Spanien zu entgehen, wie er selbst sagt. Domínguez ist eng mit Vox verbunden, in dieser Woche veröffentlichte er ein Interview mit Santiago Abascal. 340 000 Menschen haben es bislang angeschaut. Es begann mit den Worten "Wie geht's, Santi?"

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Niedrigschwellig, leicht und oft humorvoll, so kämen die Inhalte von Vox im Internet oft daher, sagt Politik-Analystin Ana Salazar. Sie sieht Anknüpfungspunkte an den Franquismus, die aber vielen Jugendlichen heute kaum auffielen, weil diese oft wenig Geschichtswissen über die Diktatur hätten. Salazar beobachtet aber auch eine andere, in ihren Augen vielleicht noch problematischere Strategie: "Sie besetzen bestimmte Themen neu, deuten um, was bestimmte Begriffe bedeuten."

Ein Beispiel dafür sei der Feminismus, der im aktuellen spanischen Wahlkampf eine zentrale Rolle spielt. Vox gebe vor, eine feministische Partei zu sein, etwa dadurch, dass sie die Strafen für Vergewaltiger erhöhen will. Doch es sei eine vereinfachte, eigentlich falsche Version von "Feminismus", sagt Salazar, die da von Vox propagiert werde. Die Politologin warnt: Wenn hier eine Generation heranwachse, die Fake News und derartige Indoktrinierung in ihr Weltbild integriert, stehe nicht weniger auf dem Spiel als die Demokratie.

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