Spanien:Wenn Parteien die Rechtsprechung blockieren

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Carlos Lesmes, der Präsident des spanischen Generalrats der rechtsprechenden Gewalt, ist zurückgetreten. (Foto: Susana Vera/Reuters)

In Spanien versucht die konservative PP, ihren schwindenden Einfluss zu sichern, indem sie die Nachbesetzung des Justizrats verhindert. Das hat gravierende Folgen. Die EU-Kommission ist aufmerksam geworden.

Von Celine Chorus

Es war sein letzter Versuch, den spanischen Rechtsstaat zu retten. Als Carlos Lesmes, 64, am Sonntag vor die Kameras trat, um seinen Rücktritt als Präsident des Obersten Gerichtshofs und des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt anzukündigen, tat er dies, um die regierende PSOE und die oppositionelle PP endlich an einen Tisch zu bringen. Denn ein Streit zwischen den Parteien führt inzwischen zu ernsthaften Problemen für die spanische Justiz, die auch der EU-Kommission in Brüssel Sorgen bereiten.

Seit vier Jahren ist das Mandat des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt (CGPJ) abgelaufen. Das Gremium gewährleistet die Unabhängigkeit der Gerichte von politischer Einflussnahme und ernennt einige Richter für das Verfassungsgericht, den Obersten Gerichtshof sowie andere hohe Justizorgane. Doch seit 2018 verhindert die konservative PP, dass die unter ihrer Regierung ernannten Mitglieder des CGPJ, deren Amtszeit abgelaufen ist und die nur noch geschäftsführend tätig sind, ersetzt werden.

Das blockiert die spanische Justiz in entscheidenden Punkten: Weil eine von Ministerpräsident Pedro Sánchez angestoßene Gesetzesreform verbietet, dass der CGPJ nach Ablauf seines Mandats weiterhin hochrangige Mitglieder wählen darf, können zwei Verfassungsrichter nicht ernannt werden, dazu etliche Stellen am Obersten Gerichtshof. Mit der Reform wollte die PSOE die PP eigentlich zur Erneuerung des CGPJ zwingen. Der Rücktritt Lesmes' bestätige nun "einmal mehr die Dringlichkeit, eine Lösung zu finden", sagt ein Sprecher der EU-Kommission.

Seit 2018 kein Konsens

Der spanische CGPJ besteht aus zwölf Richtern oder Staatsanwälten sowie acht Rechtsanwälten beziehungsweise anerkannten Juristen. Die einen werden vom Kongress und vom Senat aus einer Liste mit 36 Kandidaten gewählt, die anderen brauchen in beiden Kammern eine qualifizierte Mehrheit von drei Fünfteln. Sánchez verfügt jedoch nicht einmal über eine einfache Mehrheit und ist daher auf die Zustimmung der PP angewiesen, um die Erneuerung des CGPJ durchs Parlament zu bringen. Seit 2018 konnte kein Konsens mehr erzielt werden.

Die derzeitigen Mitglieder wurden 2011 ernannt, als die PP noch die absolute Mehrheit hatte. Inzwischen sitzt sie in der Opposition und versucht, mit immer neuen Forderungen die Neuwahl zu blockieren, um nicht an politischem Einfluss zu verlieren. Sie pocht darauf, dass die Mitglieder des CGPJ nicht mehr vom Parlament, sondern von den Richtern gewählt werden sollten. Die PSOE argumentiert dagegen, dass dies aufgrund der aktuellen Zusammensetzung des CGPJ bedeuten würde, dass dieser immer eine konservative Mehrheit hätte.

Der Vergleich mit Polen und Ungarn

Die Situation in Spanien erinnert auf den ersten Blick an die EU-Mitgliedstaaten Polen oder Ungarn. Doch zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien, wie es wegen der Justizreform schon gegen Polen angestrengt wurde, ist es bislang nicht gekommen. Spanien sei mit den osteuropäischen Ländern nicht zu vergleichen, betont EU-Justizkommissar Didier Reynders. In Spanien bestehe das Ziel darin, "die Situation zu verbessern", damit die Unabhängigkeit der Justiz noch mehr respektiert werde. In Polen und Ungarn habe die EU-Kommission dagegen diesbezüglich "Rückschritte" gesehen. Statt auf Sanktionen gegen Spanien setzte Reynders also bislang darauf, die PSOE und die PP eindringlich zum Dialog aufzurufen.

Dass der spanische CGPJ seine Funktion seit Jahren ohne gültiges Mandat ausübt, hat inzwischen jedoch auch in Brüssel zu Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit geführt. In einem Schreiben an den zurückgetretenen CGPJ-Präsidenten Lesmes zeigte sich Věra Jourová, die Vizepräsidentin der EU-Kommission, besorgt über die "katastrophale Situation", in der sich die Justiz nach vier Jahren "institutioneller Anomalie" befinde. Nun müsse oberste Priorität haben, "dass die spanische Justiz ihre volle institutionelle Normalität wiedererlangt", schrieb Jourová.

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Vor zwei Wochen reiste Kommissar Reynders nach Madrid, um wegen der Blockade zu vermitteln. Stattdessen wurden jedoch die Befürchtungen der sozialdemokratischen Regierung bestätigt, dass Reynders auf einer Reform des CGPJ nach dem PP-Modell bestehen könnte. Reynders sagte, dass die Neubesetzung des CGPJ von der Mehrheit der Richter beschlossen werden sollte, wie es die europäischen Standards vorschrieben. Gehofft hatte die Sánchez-Regierung eigentlich, dass Reynders die PP für die seit Jahren blockierte Justiz verantwortlich macht. Wenn es in dieser Sache nicht bald Fortschritte gebe, betonte der EU-Vertreter, werde man "alle Instrumente gegen Spanien einsetzen".

Durch den Rücktritt von CGPJ-Präsident Lesmes hat sich die Krise der spanischen Justiz nun nochmals zugespitzt. Am Montag bestellte Sánchez den Vorsitzenden der PP, Alberto Núñez Feijóo, zu einem Gespräch. Sie verständigten sich darauf, "einen letzten Versuch" zu unternehmen, um die Erneuerung des CGPJ voranzutreiben. In den kommenden Wochen wollen die beiden Parteien gemeinsam nach einer Lösung suchen. Doch eine baldige Einigung ist wohl nicht in Sicht. Feijóo stellt die gleichen Bedingungen wie in den vergangenen vier Jahren.

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