Gazastreifen:Wenn Kinder wieder lachen

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Ziel der aufwendig vorbereiteten Reise: das SOS-Kinderdorf in Bethlehem. (Foto: Alea Horst)

Bewohner des SOS-Kinderdorfs in Rafah sind nach langem Bangen in Sicherheit. Für die Rettungsaktion hatte sich das deutsche Außenministerium eingesetzt.

Von Finn Walter

Als die Kinder über die Grenze kamen, habe sie angefangen zu weinen, sagt Lanna Idriss, die Chefin der Organisation "SOS-Kinderdörfer weltweit". Mehrere Monate hatten Diplomaten des Auswärtigen Amts daran gearbeitet, Kinder und Mitarbeiter aus dem SOS-Kinderdorf in Rafah herauszuholen. Am Ende musste es schnell gehen. Gerade einmal eineinhalb Tage vorher erfuhr Idriss, dass es losgeht.

Nach mehrtägiger Reise durch Ägypten und Israel erreichten 68 Kinder und elf Mitarbeitende und deren Angehörige vor etwa zwei Wochen Bethlehem im Westjordanland. Im dortigen SOS-Kinderdorf sollen sie sich nun langsam an die neuen Lebensumstände gewöhnen. "Keines der Kinder hat Gaza jemals zuvor verlassen", sagt Idriss. Das Wichtigste sei, dass sie nun sicher vor Bomben sind. Die Lebensumstände in der südlichen Grenzstadt des Gazastreifens sind katastrophal.

Lanna Idriss (links) und Ghada Hirzallah, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Palästina, bei der Ankunft in Bethlehem. (Foto: Salam Ibrahim)

Die SOS-Vorstandsvorsitzende hatte sich Mitte November direkt an Außenministerin Annalena Baerbock gewandt und um Hilfe gebeten. Seitdem haben deutsche Diplomaten in Tel Aviv, Kairo, Ramallah und Berlin mit israelischen, ägyptischen und palästinensischen Behörden verhandelt. Außenministerin Baerbock soll das Thema mehrmals bei Gesprächen mit israelischen Vertretern angesprochen haben.

Da kaum jemand in den Gazastreifen hineinkommt, waren die Betreuer mit den Kindern auf dem Weg vom Dorf bis zum Grenzübergang auf sich allein gestellt. Währenddessen hatte Idriss keinen Kontakt zu ihnen. Es war unklar, ob alle tatsächlich nach Ägypten einreisen dürfen. "Der schönste Moment war, als ich Kindergeschrei durch ein Funkgerät hörte", sagt die Chefin der Hilfsorganisation.

Von Rafah bis Bethlehem begleitete Idriss die Kinder, alle zwischen zwei und 14 Jahre alt, im Bus. "Ich wusste, dass die Kinder traumatisiert sind, da sie viel zu ruhig waren", sagt sie, "Kinder in dem Alter sollten nicht so ruhig sein." Erst bei einem Zwischenstopp auf einem Spielplatz begannen die Kinder zu spielen. "Ich bin glücklich", habe eines der Kinder immer wieder gerufen, erinnert sich Idriss. Die Weite der dünn besiedelten Sinai-Halbinsel war für die meisten neu. Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Seit Kriegsausbruch konnte niemand aus dem Kinderdorf das Gebiet verlassen.

In der Region gab es viele Widerstände gegen die Aktion

Nach SZ-Informationen warteten auch zehn Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Ägypten an der Grenze, sowie zwei Ärzte. Botschaftsmitarbeiter aus Kairo begleiteten den Konvoi bis an die israelische Grenze. Dort wartete bereits Steffen Seibert, der deutsche Botschafter in Tel Aviv mit seinem Team und übernahm. Ihm war eine Schlüsselrolle bei der Organisation zugefallen. Ägypten will kein Zufluchtsort für Flüchtlinge aus dem Gazastreifen werden. Palästinensische Stellen sind gegen eine dauerhafte Umsiedlung, aus Angst vor einer Vertreibung aus dem Gebiet. In Israel wiederum gibt es innenpolitischen Widerstand gegen humanitäre Hilfe im Gazastreifen, solange sich noch Geiseln in den Händen der Hamas befinden.

Das SOS-Kinderdorf Rafah (Archivbild) im Süden Gazas. (Foto: Virginie Nguyen Hoang/dpa/SOS-Kinderdoerfer weltweit)

Berlin und die deutschen Auslandsvertretungen sollen sich zuletzt täglich über das weitere diplomatische Vorgehen abgestimmt und auch während der Evakuierung Kontakt gehalten haben.

Aus rechtlichen Gründen konnte Idriss nur die Jungen und Mädchen nach Bethlehem bringen, für die ihre Organisation das Sorgerecht hat. Einige Kinder blieben mit Betreuern zurück, weil Angehörige nicht mit der Ausreise einverstanden waren oder sie Vater und Mutter erst kürzlich verloren hatten. Man habe noch nicht feststellen können, ob es doch noch Verwandte gibt, die einer Evakuierung zustimmen müssen. "Das war die schmerzhafteste Entscheidung für uns", sagt Idriss.

Die Waisenkinder aus Gaza sind nun in psychologischer Betreuung und sollen sich an die neue Umgebung gewöhnen, wie sie weiter erzählt. "Wir haben sie mit Partnerfamilien in Bethlehem zusammengebracht, um für Normalität zu sorgen." Aktuell können sie noch nicht in die Schule gehen. Die deutsche Auslandsvertretung in den palästinensischen Gebieten spendete 81 Tablets, mit denen man nun Homeschooling organisieren wolle.

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