Regierungsbildung:Die Harmonie der Sondierer spaltet die Union noch mehr

Merz zollt Ampel-Parteien Respekt für ihr Sondierungspapier

Hätte vielleicht nicht jeder erwartet: Friedrich Merz (CDU), der im Wettstreit um den CDU-Parteivorsitz Armin Laschet (CDU) unterlag, zollt SPD, Grünen und Liberalen beim Auftakt des Deutschlandtages der Jungen Union Respekt für ihr Sondierungspapier.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Die Reaktionen auf die Vorschläge von SPD, Grünen und FDP für ein gemeinsames Regierungsprogramm fallen weitestgehend positiv aus, nur in der Union ist man sich wieder mal nicht einig.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Vorne stehen drei Politiker, der rechts Stehende ist als zweiter dran mit seinem Statement. "Ich glaube, dass das, was wir durchgesetzt haben, meine Kollegen und Kolleginnen mögen es mir verzeihen, trägt in großem Maße auch sozialdemokratische Handschrift." Es ist der 12. März 2018 in Berlin, auf der Bühne stehen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und der damalige SPD-Chef Martin Schulz. Letzterer hat seine Partei als Juniorpartner in eine große Koalition geführt - die eigentlich niemand wollte. Er muss jetzt beweisen, dass der Juniorpartner der Union auf Augenhöhe verhandelt - und sich gegen CDU und CSU durchgesetzt hat.

Dreieinhalb Jahre später, es ist der vergangene Freitag, stehen auf der Bühne in Berlin sechs Politiker, und wieder geht es um eine Bundesregierung. "Die letzten Tage waren geprägt von einem besonderen Stil", sagt FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei der kleinste Juniorpartner sein wird. Er habe eine "Änderung in der politischen Kultur" wahrgenommen, der "Möglichkeitsräume" geschaffen habe, um gemeinsam mit SPD und Grünen über eine Koalition zu verhandeln. Ähnlich reden die Parteispitzen von SPD und Grünen, keiner erhebt sich über die anderen. Man wolle eine Regierung bilden, die dialogfähig ist, die einlädt, sagt Olaf Scholz (SPD), der der nächste Kanzler werden will.

Es geht jetzt nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander. Das ist der Eindruck, den der Auftritt der drei potenziellen Koalitionäre am vergangenen Freitag hinterlassen hat. Hier wird keine Notregierung gebildet, sondern ein Bündnis, das hohe Erwartungen weckt - und zumindest für den Moment das Gefühl, dass es gut werden könnte.

Damals Kuhhandel, heute Aufbruch

Dazu trägt bei, dass sich - anders als der Koalitionsvertrag von 2018 - das zwölfseitige Sondierungspapier nicht liest wie ein Protokoll eines Kuhhandels: Mütterrente für die CSU, schwarze Null für die CDU, Kindergeld für die SPD. Wer die Einleitungen zum Koalitionsvertrag 2018 und zum Sondierungspapier vom Freitag vergleicht, dem fällt auf, dass die Tonalität eine andere ist: 2018 ging es um das Bewahren von Besitzständen. 2021 geht darum, Veränderungen auch als Chance zu begreifen. Man kann die sozial-liberal-ökologischen Schwerpunkte deutlich im Sondierungspapier erkennen - Mindestlohn, Gründergeist, Klimaschutz - aber nicht als Einzelbausteine, sondern zusammengesetzt zu einem Mosaik, das Aufbruch verkündet.

Die Freude der Sondierer ist freilich der Kummer der Unterlegenen von CDU und CSU. Der Beschluss der Spitzen von SPD, FDP und Grünen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, hat die ohnehin nervöse Union weiter gespalten. "Sie haben, wie ich finde, ein beachtliches Papier vorgelegt", sagte Friedrich Merz (CDU), einst Mitglied im Zukunftsteam von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das ist ein Anlass zum Respekt und zur kritischen Selbstüberprüfung: Das hätten wir auch haben können." Die Ampel-Koalition sei in greifbare Nähe gerückt, das gemeinsam von den Parteien vorgelegte Papier zeuge "von Einigungswillen und auch von der Bereitschaft gemeinsam zu regieren. Wir sollten uns darauf einrichten, Opposition zu sein." Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union sagte auch Armin Laschet: "Das Papier ist in Ordnung, da hätten wir auch manches mitmachen können; wir werden sie messen an den Taten, nicht an 12 Seiten Sondierungspapier; aber da sind viele gute Sachen drin."

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatten das Einigungspapier für eine Ampelkoalition dagegen scharf kritisiert. Es beinhalte mehr Fragen als Antworten", sagte Ziemiak (CDU) der Rheinischen Post. "Es wurden einfach viele Vorschläge zusammengewürfelt - ohne konkret zu sagen, was das für die Menschen bedeutet. Insbesondere die Frage der Finanzierbarkeit bleibt offen."

Unionsfraktionschef Brinkhaus sieht Brüche zwischen Ampelpartnern

Brinkhaus bemängelte die fehlende Finanzierung. Fast alle Ausgabenwünsche würden erfüllt, aber nirgendwo belastbar gesagt, wie das alles bezahlt werden soll, sagte Brinkhaus. "Die Brüche zwischen den Ampelpartnern werden mehr als deutlich. Die inhaltliche Grundlage für die Ampel ist nicht stabil." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von "Linksträumereien". Die Ampel stehe deutlich auf Rot, sagte er, "Steuererhöhungen für Millionen Bürger durch die Abschaffung sogenannter Subventionen und eine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa."

Angela Merkel (CDU) hob dagegen hervor, sie glaube, dass Europa in einer möglichen Ampelkoalition weiter eine herausgehobene Rolle spielen werde. Sie könne den EU-Partnern "aus voller Gewissheit sagen, es wird eine Regierung sein, die proeuropäisch ist", sagte Merkel bei einem Besuch in Brüssel. "Und das ist eine wichtige Botschaft für die Partner in der EU."

SPD, Grüne und FDP hatten am Freitag ein zwölfseitiges Sondierungspapier vorgelegt, in dem sie ihre politischen Ziele umreißen. Konkrete Haushalts- und Finanzierungsangaben sind darin nicht enthalten, diese sollen in den Koalitionsverhandlungen geklärt werden. Sven Giegold, der als EU-Finanzpolitiker der Grünen an den Sondierungen teilgenommen hatte, sagte, es werde am Anfang der Koalitionsverhandlungen "einen Kassensturz geben". SPD-Kanzlerkandidat Scholz hatte zuvor versichert, dass man die Spielräume habe und finden werde, um die erforderlichen Investitionen, etwa in den Klimaschutz, zu finanzieren.

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