Horst Seehofer:Minister der Volten

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Viel Platz zum Manövrieren bleibt dem Minister nicht: Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch am Kabinettstisch. (Foto: Andreas Gora/Getty)

Stellt er Strafanzeige gegen eine Journalistin? Die Klärung dieser Frage erfordere "große, große Sorgfalt", sagte Horst Seehofer - und zeigt sich wieder einmal schwer steuerbar.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Horst Seehofer gehört zu einer Spezies von Politikern, die gern mal etwas kerniger auftreten. Die Angst vor dem Eklat ist ihm eher fremd, und auch im Gespräch mit Journalisten lässt er keine übermäßige Vorsicht walten. Seehofers politischen Offensiven sind schwer steuerbar, das haben von der Kanzlerin bis zu den Mitarbeitern seines Hauses schon manche Wegbegleiter erleben dürfen. Legendär sind aber auch die Volten, die der Bundesinnenminister gern mal schlägt, wenn es darum geht, einer Sackgasse zu entkommen, in die er sich selbst begeben hat.

Mit Spannung wurde in Berlin deshalb am Mittwoch erwartet, wie der Minister sich aus seinem jüngsten Dilemma befreien würde. Am Wochenende und nach schweren Krawallen in Stuttgart hatte Seehofer angekündigt, Strafanzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah zu stellen. Die Kolumnistin der Tageszeitung taz hatte sich in einem Text über die Polizei mokiert, die zu nichts nütze sei in Deutschland und auf die Müllhalde gehöre. Mit Worten würden Taten angefacht und Angriffe auf Polizeibeamte, sagte Seehofer, der noch am Montag Anzeige gegen die Journalistin erstatten wollte.

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Der Innenminister verzögert die Entscheidung, ob er eine "taz"-Journalistin anzeigen soll. In Wahrheit gibt er zu: Seine Ankündigung hatte keinerlei Substanz. Es wird einsam um Seehofer.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel bat Seehofer zum Gespräch. Sie stimmte, das war nicht zu überhören, seinem Vorhaben nicht zu. Kritik kam auch von vielen Medienvertretern, die die angekündigte Anzeige als Einschüchterungsversuch werteten und vor einem Eingriff in die Pressefreiheit warnten. Von Seehofer aber kam: nichts. Es verging der Montag, auch der Dienstag. Hinter den Kulissen beriet unterdessen, so war zu vernehmen, nahezu der gesamte Leitungsstab des Bundesinnenministeriums. Am Mittwoch schließlich wurde der Hauptstadtpresse signalisiert, es könnten Fragen an Seehofer gestellt werden bezüglich der Strafanzeige.

Am Nachmittag also erscheint ein offenbar gut gelaunter Seehofer im Presseraum seines Ministeriums. Seehofer, das ist ihm anzusehen, hat keine ganz geringe Freude daran, die Journalistenmeute der Hauptstadt bei sich zu versammeln und auf Trab zu halten. Seine Botschaft wird dann lauten: bitte weiterwarten.

Zunächst plaudert der Minister über sein vorangegangenes Treffen mit dem österreichischen Innenminister Karl Nehammer und die europäische Asylpolitik. Nein, wird er dann zu Protokoll geben, eine Entscheidung darüber, ob er eine Strafanzeige gegen die taz-Autorin stellen werde oder nicht, habe er noch nicht getroffen. "Wir haben es da mit keiner Petitesse zu tun", sagt der CSU Politiker. Schließlich sei er unter anderem Verfassungsminister. Es stellten sich Fragen der Pressefreiheit "und ob wir uns das zumuten".

Gemeint sind monatelange Debatten über die Meinungs- und Pressefreiheit, die Seehofer ins Haus stehen dürften, wenn er darauf beharrt, Anzeige gegen die taz zu erstatten. Auch erheblicher Ärger mit der Kanzlerin wäre zu erwarten. Nach dem Flüchtlingsstreit von 2018 ist das für Seehofer kein verlockendes Szenario. Zudem stehen die Chancen gut, dass die Ermittlungen nach einer Anzeige bald wieder eingestellt würden. All das dürften die Hausjuristen dem Minister vorgetragen haben. Dass er seine Drohung wahrmachen und rechtliche Schritte gegen die Kolumnistin ergreifen würde, galt bis zuletzt deshalb als unwahrscheinlichstes aller Szenarien.

Nur ist Seehofer eben aus einem Holz geschnitzt, das nicht ganz leicht zu bearbeiten ist. Er sei schließlich auch Polizeiminister, sagt er. Dass Beamtinnen und Beamten gegen zunehmende Angriffe in Schutz genommen werden müssten, hat Seehofer in den letzten Tagen immer wieder zu verstehen gegeben. Die Sache sei "sorgfältig auszuleuchten", betont er am Mittwoch, so als sei noch nicht tagelang geleuchtet worden. Er wolle die Debatte auch nicht "von einem auf den anderen Tag beenden".

Seehofer beginnt dann aufzuzählen: Morgens Kabinett, später der Besuch des Berliner Innensenators, wegen des umstrittenen Antidiskiminierungsgesetzes. Viel zu tun, es gibt Wichtigeres als die Anzeige, so kann man das verstehen. "Und dann kann es sein, dass ich heute noch endgültig die Dinge entscheide", sagt Seehofer. Könne aber auch sein, dass er erst am Donnerstag entscheide. "Das ist kein Wegducken vor der Sache, das ist kein Zeitverzögern." Die Entscheidung erfordere "große, große Sorgfalt". Am Rand des Podests, auf dem Seehofer sitzt, steht mit Papieren unterm Arm Staatssekretär Helmut Teichmann. Er sieht aus, als habe es schon bessere Tage gegeben.

© SZ vom 25.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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