Europäische Union:Ja zu Kroatien, Nein zu Rumänien und Bulgarien

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Werden die EU-Außengrenzen von Rumänien und Bulgarien nicht richtig geschützt? Flüchtlinge im Grenzgebiet zwischen Rumänien und Serbien. (Foto: Michael Bunel /imago images/Le Pictorium)

Die Innenminister des Schengen-Raums nehmen das kleine Kroatien auf. Bulgarien und Rumänien aber müssen draußen bleiben - weil Österreich sich querstellt.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Österreich sagt Nein, Österreich macht nicht mit. Innenminister Gerhard Karner zeigte sich am Donnerstagmorgen in Brüssel wild entschlossen, den Spielverderber zu geben. Er sei zwar dafür, Kroatien in den Schengenraum aufzunehmen, also in den Kreis der europäischen Staaten, die keine Kontrollen mehr an ihren Binnengrenzen durchführen. Er werde aber "aus Sicherheitsgründen" gegen Rumänien und Bulgarien stimmen. Seine Regierung wolle ein System, das nicht funktioniere, nicht auch noch erweitern. Ob damit Österreich nicht seinen Ruf in Europa ruiniere? Auf den Einwand ging Karner gar nicht ein, ehe er zum Treffen mit seinen Kolleginnen und Kollegen entschwand.

Karner sagte dann tatsächlich Ja zu Kroatien - und Nein zu Rumänien und Bulgarien. Im Fall Bulgariens gab es noch eine zweite Gegenstimme, sie stammte aus den Niederlanden. Dort hatte das Parlament Vorbehalte geäußert. Aber die Niederlande allein hätten wohl nicht die erforderliche Einstimmigkeit verhindert. Treibende Kraft war Österreich.

Karner und ÖVP-Parteikollege Karl Nehammer, der Kanzler, hatten sich tags zuvor noch einmal festgelegt: Österreich habe in diesem Jahr an seinen östlichen Grenzen mehr als 100 000 illegale Grenzübertritte festgestellt, und 75 000 dieser Menschen seien noch nicht registriert gewesen - europäische Grenzsicherung und Registrierung von Migranten sei aber Sache der Staaten an den Außengrenzen, und diesen Verpflichtungen kämen die EU-Staaten Rumänien und Bulgarien offensichtlich nicht nach.

Dass Karner und Nehammer Kroatien durchwinkten, ist den guten Beziehungen zwischen den beiden Regierungen geschuldet. Außerdem wollte man wohl nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Kroatien-Urlauber weiterhin an der Grenze im Stau stehen. Österreichs schwarz-grüne Regierung handelte offensichtlich aus innenpolitischen Gründen, sie wollte der rechtspopulistischen FPÖ den Wind aus den Segeln nehmen, und dafür hat sie die Schengen-Debatte instrumentalisiert. So bewertete auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser am Donnerstag das Verhalten Österreichs. Sie hatte bis zuletzt versucht, die Österreicher umzustimmen und könne nun die Entscheidung "nicht nachvollziehen", sagte sie. Außenministerin Annalena Baerbock sprach bei einem Besuch in Dublin von einem "schlechten Tag für Europa". Die Entscheidung sei "europapolitisch und geopolitisch falsch".

Nancy Faeser hofft darauf, dass sich nun die Staats- und Regierungschefs mit der Frage befassen

Margaritis Schinas, der für Migrationsfragen zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, sagte, alle drei Staaten hätten die Bedingungen "übererfüllt". Und eine Aufnahme von Rumänien und Bulgarien würde ja gerade bedeuten, dass in den Ländern Kontrollen nach gemeinsamen Standards vorgenommen werden. So sah das auch der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger, dessen Land wie Österreich stark von steigenden Migrationszahlen betroffen ist. Die Regierungen von Bulgarien und Rumänien hatten zuvor schon Empörung über Österreich geäußert und "Gegenmaßnahmen" angekündigt, wie auch immer die aussehen könnten. Die Kommission will versuchen, eine neue Abstimmung über Rumänien und Bulgarien bis zum Ende ihrer Amtszeit 2024 herbeizuführen. Nancy Faeser hofft darauf, dass die Staats- und Regierungschefs sich beim Gipfel nächste Woche noch einmal mit der Frage beschäftigen.

"Schengen" steht für eine der großen, identitätsstiftenden Erfolgsgeschichten Europas, das grenzüberschreitende Reisen ohne Kontrollen. Voraussetzung für den Abbau von Schranken im Inneren ist jedoch die Sicherung der Außengrenzen. Auch wenn Österreichs Regierung an diesem Tag isoliert dastand: Die stetig wachsende Zahl von Migranten, die nach Europa kommen, stellt das System infrage und macht vielen Staaten Sorgen.

Was die Zahl der Asylanträge betrifft, ist man noch weit von den Krisenjahren 2015 und 2016 entfernt. Laut der EU-Asylagentur haben in diesem Jahr 660 000 Menschen einen Antrag gestellt, ein Drittel weniger als zum selben Zeitpunkt 2016 - andererseits um die Hälfte mehr als 2021. Es kommen immer mehr Menschen, die wenig Aussicht haben, bleiben zu dürfen - aus Ländern wie Indien, Bangladesch, Tunesien oder der Türkei. Und offensichtlich werden viele von ihnen nicht in den Ländern erfasst und betreut, in denen sie europäischen Boden betreten haben, obwohl dies das europäische Asylsystem vorsieht.

Die Verteilung von Asylbewerbern bleibt ein Konfliktthema

Über dieses Phänomen der "Sekundärmigration", das einzelne Länder besonders belastet, klagt nicht nur die österreichische Regierung, sondern auch die deutsche. Die Regeln müssten eingehalten, Migranten an den Außengrenzen registriert werden, sagte Innenministerin Faeser in Brüssel, sie sprach das Thema in der Sitzung am Donnerstag an. Auch ihre belgische Kollegin Nicole de Moor bezeichnete den Zustand als untragbar, dass so viele Migranten weiterreisen in Länder, in denen sie bessere Chancen auf Anerkennung sehen, vor allem nach Deutschland, aber auch nach Belgien und in die Niederlande.

Zur steigenden Zahl von Asylbewerbern auf der Westbalkanroute und der Mittelmeerroute kommen die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hinzu. Sie fallen zwar nicht unter das Asylsystem, aber immer mehr von ihnen müssen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht werden. Deutschland nimmt, neben Polen, die meisten auf. Falls es im Winter eine weitere Fluchtwelle aus der Ukraine gebe, werde Deutschland auf eine gleichmäßigere Verteilung in Europa drängen, sagte Ministerin Faeser in Brüssel. Dies sei eine Frage europäischer Solidarität.

Weil es keine dauerhafte Vereinbarung über Aufnahme und Verteilung von Asylbewerbern gibt, hangelt sich die EU von Krisenherd zu Krisenherd, mit immer neuen "Aktionsplänen". Zwei dieser Pläne stellte die Kommission am Donnerstag den Ministerinnen und Ministern vor: einen für die zentrale Mittelmeer-Route, um die italienische Regierung zu besänftigen, einen für die Westbalkan-Route, um der österreichischen Regierung entgegenzukommen. Migranten sollen demnach in Zusammenarbeit mit Drittstaaten davon abgehalten werden, die Reise nach Europa überhaupt anzutreten. Grenzkontrollen sollen verstärkt, Rückführungen beschleunigt werden. Der österreichischen Regierung geht das alles aber nicht weit genug. Sie wollte an diesem Donnerstag ein Zeichen setzen.

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