Der Selbstmordattentäter sprengte sich am Vorabend des Fests des Fastenbrechens in die Luft, auf einem Parkplatz direkt neben der Prophetenmoschee von Medina, dem zweitheiligsten Ort der Muslime. Noch hat sich niemand zu diesem Anschlag bekannt, bei dem mindestens vier Polizisten starben, ebenso wenig wie zu zwei anderen Attentaten in Saudi-Arabien am selben Tag, die einer schiitischen Moschee und mutmaßlich dem US-Konsulat in Dschiddah galten. Aber alle drei Attacken tragen die Handschrift der Terrormiliz Islamischer Staat.
Der IS diffamiert Schiiten als Ungläubige und kämpft gegen die Amerikaner ebenso wie gegen die saudischen Sicherheitskräfte. Das Königshaus zu stürzen und die heiligen Stätten von Mekka und Medina ihrem selbst ausgerufenen Kalifat einzuverleiben, wäre die Erfüllung ihrer apokalyptischen Vision und ihres ideologischen Anspruchs, die Muslime weltweit zu führen. Auch wenn der Anschlag am Ende vielleicht nicht der Grabstätte Mohammeds selbst galt, sondern dem staatlichen Wachpersonal: Diese Attacke auf Medina im Ramadan fordert die saudische Monarchie heraus, die ihren Einfluss und ihre Legitimität nicht zuletzt darauf stützt, Hüterin der heiligen Stätten zu sein.
Ultrakonservative Auslegung des Islam schafft Nährboden für Terrorismus
Saudi-Arabien ist unzweifelhaft Opfer islamistisch motivierten Terrors. Schon al-Qaida bombte gegen das Königshaus. Kronprinz und Innenminister Mohammed bin Nayef entging einem Attentat, bei dem der Täter sich mit einer in seinem Körper verborgenen Bombe in die Luft jagte. Der IS hat 2014 den Sauds den Krieg erklärt und ihm Priorität gegeben noch vor Anschlägen gegen Ziele im Westen. Dutzende Attentate haben Extremisten im Namen des IS seither in dem Land verübt, Dutzende hat ein inzwischen recht effektiver Sicherheitsapparat verhindert, der mehrere Tausend Dschihadisten in Haft hält. Zugleich ist das Königreich dem Vorwurf ausgesetzt, mit seiner als Staatsreligion praktizierten und weltweit verbreiteten ultrakonservativen Auslegung des Islam den Nährboden für Terrorismus zu schaffen.
Der IS bezieht sich in seiner Ideologie auf das früheste Bündnis des Stammes der Saud mit den Wahhabiten im 18. Jahrhundert - das geprägt war von Expansionsstreben und Gewalt gegen Andersgläubige. Der IS sieht sich als wahrer Hüter dieses Erbes, die Sauds dagegen seien abgefallen vom rechten Glauben und müssten deshalb getötet werden, ebenso ihre Soldaten.
Der Königssohn will den Klerikern Grenzen setzen
Das Königshaus wiederum hat die Allianz mit wahhabitischen Klerikern über Jahrhunderte hinweg aufrechterhalten. Das religiöse Establishment verleiht dem Monarchen Legitimität in der konservativen Gesellschaft, die er durch wirtschaftliche Wohltaten allein nicht erlangen könnte, vielleicht nicht einmal durch Wahlen. Im Gegenzug haben die Gelehrten großen Einfluss auf Justiz, Erziehungs- und Bildungswesen und in gesellschaftlichen Fragen. Das Königshaus weitete die Kompetenzen der Kleriker gar noch aus, nachdem Extremisten 1979 die Große Moschee von Mekka besetzt und ein Blutbad angerichtet hatten. Etliche dieser Gelehrten haben sich erst durch Druck des gestorbenen Königs Abdullah genötigt gesehen, gegen den IS Stellung zu beziehen.
Das moderne Saudi-Arabien hat nicht mehr viel zu tun mit dem Leben in den Stammesgebieten des Nadschd, das der IS idealisiert. Aber es ist auch weit davon entfernt, seine Staatsdoktrin in bedeutsamer Weise zur reformieren. Der junge Königssohn hat durchgesetzt, dass die Rechte der Religionspolizei drastisch beschnitten wurden. Im Land wird das von manchen als bedeutendes Zeichen gesehen, dass er den Klerikern Grenzen setzen will. Die vielen Widersprüche, die Saudi-Arabiens Gesellschaft auf die Probe stellen, würden aber auch damit nicht aufgehoben.