Sahra Wagenknecht:Die innere Feindin der Linken wagt den Neuanfang

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Monatelange Hängepartie: Schon länger wurde darüber spekuliert, dass Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen wolle. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Sahra Wagenknecht wird die Partei, die sie schon so lange bekämpft, nun tatsächlich hinter sich lassen - und ihre eigene gründen. Eine existenzielle Gefahr für die Linke. Doch auch ein Risiko für Wagenknecht selbst.

Von Boris Herrmann, Berlin

Anfang kommender Woche soll es also endlich losgehen. Sahra Wagenknecht hat sich nach einer monatelangen Hängepartie offenbar entschieden: Sie will ihre eigene Partei gründen. Am Montag dürfte sie das in der Bundespressekonferenz verkünden, wie zuerst der Spiegel berichtete. Zwar wollte Wagenknecht die Meldung zunächst nicht offiziell bestätigen oder kommentieren. Aber das ändert wohl wenig an der Tatsache: Sie und ihre bisherige Partei, die Linke, sind in wenigen Tagen auch ganz offiziell politische Konkurrentinnen.

Inoffiziell besteht diese Konkurrenz selbstverständlich schon lange. Wagenknecht war in den vergangenen Jahren eben nicht nur die populärste Figur der Linken, sondern gleichzeitig auch ihre härteste Gegnerin.

Wagenknecht wird zunächst wohl einen Verein ins Leben rufen, den "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit", der schon vor einigen Wochen von Strohleuten ihres Vertrauens im Vereinsregister eingetragen wurde und nun die Gründung einer auf sie zugeschnittenen Partei vorbereiten soll. Der Gründungsparteitag dürfte dann mutmaßlich Anfang kommenden Jahres stattfinden. Das wäre gerade noch rechtzeitig, um bei der Europawahl im Juni 2024 erstmals mit einer eigenen Liste antreten zu können.

Sie hat schon immer ihr eigenes Ding gemacht

Damit manifestiert sich die Spaltung der Linkspartei, die schon seit einiger Zeit unausweichlich erschien. Spätestens seit dem Erfurter Parteitag im Juni vergangenen Jahres war es nur noch eine Frage der Zeit. Damals verstrich vielleicht die letzte Gelegenheit, das schwer zerrüttete Verhältnis zwischen der Linken und ihrer inneren Oppositionsführerin noch einmal zu befrieden. Eine deutliche Mehrheit der Partei entschied sich in Erfurt aber für die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan - und damit gegen eine Personallösung, die Wagenknecht mitgetragen hätte. Auch im damals neu gewählten Parteivorstand ist niemand mehr aus ihrem Lager vertreten. Wagenknechts Erzählung, wonach man versuche, sie und ihre Leute auszugrenzen, nahm damit ihren Anfang. In Erfurt, wo sie selbst gar nicht anwesend war, kursierte auch erstmals das Gerücht, sie werde die Linke verlassen und ihr eigenes Ding machen.

In gewisser Weise macht sie das schon immer. Sahra Wagenknecht, 54, trat 1989 in die SED ein, als der abgewrackten Einheitspartei der DDR gerade massenweise die Leute davonliefen. Als junge Hardcore-Kommunistin trieb sie ihre pragmatischen Kollegen im PDS-Vorstand zur Weißglut, als Fraktionsvorsitzende stellte sie sich während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 gegen das Prinzip der offenen Grenzen, also auch gegen die unter den Genossinnen und Genossen eigentlich heilige internationale Solidarität.

Als es der Linken vor der Bundestagswahl 2021 verhältnismäßig gut ging und manch einer sogar von einer Regierungsbeteiligung träumte, schrieb Wagenknecht einen Bestseller, der nichts anderes als eine Abrechnung mit dem eigenen Laden war - und alle Hoffnungen zunichtemachte. Am meisten nervte sie die Linke aber zuletzt damit, dass sie im Gegensatz zu dem gewählten Führungspersonal einen festen Stammplatz in den Talkshows hatte und dort stets das Gegenteil der Parteilinie vertrat. Manch einer hat deshalb den Tag der Trennung lange herbeigesehnt.

Bis zuletzt baute die Linke auf Wagenknechts Popularität

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Linke bis zuletzt auf Wagenknechts Popularität baute. Auch zur Bundestagswahl 2021, als der Bruch längst absehbar war, wurde sie noch einmal als Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen nominiert, obwohl sie in Ost-Berlin aufwuchs und seit Langem im Saarland lebt. Auf die Stimmen, die sie im bevölkerungsreichsten Bundesland sicherte, glaubte die Partei aber nicht verzichten zu können.

Jetzt sind sich die beiden verfeindeten Seiten so gut wie los. Wobei es für beide auch nicht ganz einfach werden dürfte, allein klarzukommen. Für die Linke nicht, weil mit der Spaltung das Ende der Bundestagsfraktion absehbar ist. Die Partei wird sich wohl als kleine Gruppe im Bundestag und nach der Bundestagswahl 2025 womöglich sogar als außerparlamentarische Opposition neu erfinden müssen. Aber auch Wagenknecht geht mit ihrem Schritt in die Abtrünnigkeit ein großes Risiko ein. Sie hat 2018 mit der Sammlungsbewegung "Aufstehen" schon einmal einen Abspaltungsversuch in den Sand gesetzt. Wenn es diesmal wieder nicht funktionieren sollte, wäre das wohl das Ende ihrer politischen Karriere.

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In den bevorstehenden Wochen bis zum Jahreswechsel und dem allgemein erwarteten Gründungsparteitag einer BSW-Partei (mutmaßlich: Bündnis Sahra Wagenknecht) dürfte beiderseits noch schmerzhafter Trennungsstress ins Haus stehen. Wagenknecht und ihre potenziellen Mitstreiter, darunter der frühere Parteichef Klaus Ernst sowie die scheidende Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali, wollen die Linksfraktion vorerst nicht freiwillig verlassen. Es wird also darum gehen, ob man sie rausschmeißen kann. Aber auch darum, ob man sie rausschmeißen will, denn dies wäre gleichzeitig der Beschluss über das Ende der Fraktion.

Derweil läuft auch noch ein Parteiausschlussverfahren gegen Wagenknecht, was dieser möglicherweise mehr nutzt, als wenn sie freiwillig ihr Parteibuch zurückgäbe. Denn was in den kommenden Wochen geschieht, könnte auch darüber entscheiden, ob Sahra Wagenknecht als alleinige Totengräberin der Linksfraktion in die Geschichte eingeht. Bei aller sorgsam gepflegten Feindschaft: Das wäre ihr dann doch nicht so recht.

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