Machtkampf in Russland:Militärblogs: Mindestens 13 russische Soldaten bei Aufstand getötet

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Rostow am Don am Tag nach dem Aufstand der Wagner-Söldner. (Foto: IMAGO/Nikolai Trishin/IMAGO/ITAR-TASS)

Die Gruppe Wagner soll in Russland angeblich sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen haben. Ein optimistisches Putin-Interview zum Kriegsverlauf in der Ukraine wurde offenbar vor dem Aufstand aufgezeichnet. Was am Tag nach dem Coup-Versuch bekannt ist.

"Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück": Mit diesen Worten beendete Jewgenij Prigoschin, Chef der Söldner-Truppe Wagner, seinen bewaffneten Aufstand gegen die russische Staatsführung. Es war ein Coup-Versuch gegen Präsident Wladimir Putin, mitten im Krieg gegen die Ukraine: Am Samstag war Prigoschins Privatarmee in Richtung Moskau vorgerückt. Sie hatte sich laut Prigoschin der russischen Hauptstadt bis auf 200 Kilometer angenähert, als er am Samstagabend den Rückzug befahl.

Auf Telegram gab Prigoschin an, den Aufstand unblutig beendet zu haben. Prorussische Militärblogs widersprachen jedoch dieser Darstellung. Ihren Angaben zufolge seien mehrere Piloten der russischen Luftwaffe ums Leben gekommen. Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwankten zwischen 13 und mehr als 20 Soldaten, wie das unabhängige Internetportal currenttime am Sonntag berichtete. Insgesamt habe die Privatarmee sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen. Von den russischen Behörden gab es dafür keine Bestätigung.

Unter den abgeschossenen Helikoptern seien auch drei für die elektronische Kampfführung genutzte Mi-8, an denen es an der Front ohnehin mangele, klagte der Militärblog Rybar. Zudem sei ein Transportflugzeug vom Typ Il-18 zum Absturz gebracht worden, an dessen Bord eine Kommandostelle eingerichtet gewesen sei. Alle Crewmitglieder seien ums Leben gekommen. Die Verluste der Luftwaffe seien damit höher als während der ukrainischen Gegenoffensive an der Front.

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Zunächst waren Putin Söldner im Kampf gegen die Ukraine willkommen. Doch dann forderte ihn der Wagner-Chef heraus. Szenen eines Machtkampfs.

Von Frank Nienhuysen

Die letzten Wagner-Kämpfer zogen am frühen Sonntagmorgen (Ortszeit) aus der südrussischen Millionenstadt Rostow am Don ab. Unter dem Applaus der Zivilbevölkerung verließen zunächst die ersten Fahrzeuge mit Söldnern das - erst Stunden zuvor von ihnen eingenommene - Hauptquartier des russischen Militärkommandos Süd, ehe später auch Panzer und Gefechtsfahrzeuge die Innenstadt verließen.

Auch tschetschenische Spezialeinheiten der Achmat-Gruppe zogen am Sonntag wieder ab, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete. Die Kämpfer des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow waren in die Region Rostow verlegt worden, um einen Wagner-Vorstoß abzuwehren. Die Achmat-Spezialkräfte kehrten dorthin zurück, wo sie zuvor gekämpft hätten, zitierte Tass den Kommandeur Apti Alaudinow.

An den Zufahrtsstraßen rund um Moskau wurden am frühen Sonntagmorgen nach offiziellen Angaben alle Straßensperren aufgehoben.

Prigoschin begibt sich nach Belarus

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat Prigoschin nach eigenen Angaben zur Aufgabe bewegt. Lukaschenko habe sich als Vermittler angeboten, weil er Prigoschin seit etwa 20 Jahren persönlich kenne, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Prigoschin selbst äußerte sich nicht unmittelbar dazu. Wann er sich nach Belarus begeben will, ist unklar.

Prigoschin werde ungehindert ins Nachbarland Belarus gehen, ergänzte Peskow. Als Garantie für den freien Abzug habe der einstige Vertraute von Wladimir Putin "das Wort des Präsidenten".

Keine Konsequenzen für Prigoschin und seine Söldner

Obwohl Putin noch am Samstagmorgen die Bestrafung der Aufständischen angekündigt hatte, gab es am Abend anderslautende Erklärungen aus dem Kreml.

Es ist bislang nicht klar, ob Prigoschin neben Straffreiheit noch weitere Zugeständnisse gemacht oder zumindest in Aussicht gestellt wurden, um den Vormarsch auf Moskau zu stoppen.

Auch die Wagner-Kämpfer sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow sagte. Vielmehr werde einem Teil der Söldner ein Angebot unterbreitet, sich vertraglich zum Dienst in den russischen Streitkräften zu verpflichten.

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Hinweise der US-Geheimdienste

US-Geheimdienste hatten offenbar Hinweise auf Prigoschins Pläne. Sie gehen einem Bericht zufolge davon aus, dass der Wagner-Chef bereits seit einiger Zeit Vorbereitungen für eine Aktion gegen die russische Militärführung getroffen hat. Prigoschin soll Waffen und Munition in der Nähe der Grenze zu Russland angehäuft haben, wie der Sender CNN unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen aus Geheimdienstkreisen berichtete. Auch New York Times und Washington Post berichten darüber.

Das Ziel dieser Planungen sei aber unklar gewesen. Anfang der Woche seien einige Kongressabgeordnete über die Beobachtungen informiert worden. Eine mit den Geheimdienstinformationen vertraute Person sagte CNN zufolge, dass "alles sehr schnell" gegangen sei und es schwierig zu erkennen gewesen sei, was Prigoschin plane.

Krieg in der Ukraine geht weiter

Den Fortgang des Kriegs gegen die Ukraine sieht Russlands Führung durch den Aufstand Prigoschins nach eigenen Angaben nicht beeinflusst. Kremlsprecher Peskow sagte, ihm sei auch nicht bekannt, dass sich die Haltung des Präsidenten gegenüber Verteidigungsminister Sergej Schoigu geändert habe. Prigoschin hatte dem Minister und auch Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Rückschläge auf dem Schlachtfeld verantwortlich gemacht.

In einem offenbar vor dem Aufstand der Söldner-Gruppe Wagner aufgezeichneten Interview hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin überzeugt gezeigt, alle militärischen Ziele in der Ukraine zu erreichen. Die Äußerungen in einem Interview mit Kreml-Korrespondent Pawel Sarubin wurden am Sonntag vom staatlichen TV-Sender "Rossija" gezeigt. Sarubin zufolge wurde das Interview nach einem Treffen mit Militärabsolventen geführt, womit er sich offenbar auf eine Veranstaltung am vergangenen Mittwoch bezog. Der am Samstag abgebrochene Aufstand der Wagner-Gruppe wurde in dem Fernsehbeitrag nicht erwähnt.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verkürzt wegen des Machtkampfs in Russland ihre eigentlich auf zwei Tage ausgelegte Reise nach Südafrika. Die Ministerin habe "ihre geplante Abreise nach Südafrika um einen Tag nach hinten verschoben, um angesichts der jüngsten Entwicklungen in Russland am Montagvormittag in Luxemburg an einem Treffen der EU-Außenminister teilzunehmen", teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts mit. Baerbock wolle nun am Montagnachmittag nach Südafrika aufbrechen.

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