Russische Invasion:Wie reagiert die Nato?

Lesezeit: 2 min

"Vorsätzliche, kaltblütige und lange geplante Invasion": Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilt Russlands Einmarsch in die Ukraine. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Beobachter sagen, eines von Putins Zielen mit dem Einmarsch in die Ukraine sei, den Westen zu spalten. Die Nato will nun zeigen: Wir stehen zusammen. Und sie kündigt Unterstützung für die osteuropäischen Mitglieder an.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Als Jens Stoltenberg am Donnerstagmittag vor die Mikrofone tritt, liegen arbeitsreiche Stunden hinter dem Generalsekretär der Nato. Am frühen Morgen, direkt nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, hatte er mit US-Außenminister Antony Blinken und US- Verteidigungsminister Lloyd Austin telefoniert.

Bereits um 8.30 Uhr waren die Botschafter der 30 Nato-Mitglieder zusammengekommen, im Saal hat auch US-General Tod Wolters gesessen, Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte. Es ist eine besondere Sitzung, denn Polen, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Tschechien, Bulgarien und die Slowakei hatten sich auf Artikel 4 des Washingtoner Gründungsvertrags berufen, sie sehen als Mitglieder des Verteidigungsbündnisses die "Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit" als bedroht an.

Krieg in Osteuropa
:Russland greift die Ukraine an

Seit dem frühen Donnerstagmorgen attackiert das russische Militär das Nachbarland. US-Präsident Joe Biden wirft Putin vor, vorsätzlich einen Krieg zu beginnen.

Von Jens Schneider

Stoltenberg wirkt betroffen, als er im Pressesaal des Nato-Hauptquartiers jenes Szenario beschreibt, vor dem er seit Wochen gewarnt hat: "Dies ist eine vorsätzliche, kaltblütige und lange geplante Invasion." Allein Russland sei verantwortlich dafür, dass man in Europa nun einen Krieg erlebe von "einer Art und einem Ausmaß", von denen man dachte, dass sie der Vergangenheit angehörten. Stoltenberg kündigt an, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten am Freitagnachmittag per Videokonferenz zusammenschalten werden. Eingeladen sind neben den Nicht-Mitgliedern Schweden und Finnland auch die Präsidenten von EU-Kommission und Europäischen Rat. Die Botschaft an Russlands Präsident Wladimir Putin: Er wird die westlichen Institutionen nicht spalten.

Der virtuelle Gipfel dürfte dazu dienen, von höchster Ebene jene Erklärung zu unterstützen, auf die sich alle Nato-Mitglieder am Donnerstag geeinigt hatten. Der wichtigste Satz steht am Schluss: "Unser Bekenntnis zu Artikel 5 des Washingtoner Vertrags ist unerschütterlich." Einen Angriff gegen ein Mitglied sehen sie als Angriff auf alle. "Wir stehen zusammen, um uns gegenseitig zu verteidigen." Dies ist ein Signal an die Mitglieder, die entweder direkt an Russland grenzen oder Nachbarn der Ukraine sind - aber auch ein Signal an Putin.

Die Nato verlegt weitere Soldaten nach Osteuropa

Dazu sind nicht nur mehr als 100 Kampfjets in Alarmbereitschaft, um den Luftraum des Nato-Gebiets zu überwachen, sondern die 30 Mitglieder haben auch die Verteidigungspläne für Osteuropa aktiviert. Darum hatte Oberbefehlshaber Wolters gebeten, um weitreichende Befugnisse zu erhalten. So kann er nun Nato-Truppen anfordern und diese schneller verlegen - viele von ihnen dürften US-Amerikaner sein.

Stoltenberg sagt: "Es wird in den nächsten Tagen und Wochen mehr Kräfte im Osten des Bündnisses geben." Dazu könnten auch Teile der Nato Response Force (NRF) gehören. Ihr wichtigster Teil ist die sogenannte "Speerspitze", für die gerade Frankreich die meisten Soldaten stellt. Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur stellt die Bundeswehr für die Speerspitze aktuell 750 Soldaten; für die NRF stehen bis zu 13 700 zur Verfügung. Der Generalsekretär macht auch deutlich, dass sich auf dem Territorium der Ukraine selbst keine Nato-Truppen befänden und es auch keine Pläne gebe, welche zu entsenden. Die Nato agiere "präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend".

Zwei weitere Themen für den virtuellen Nato-Gipfel am Freitag: Wie reagieren die Bündnispartner auf Putins Drohung, dass er beim Versuch des Westens, "sich bei uns einzumischen", zu Mitteln greifen werde, "wie Sie sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben"? Dies wird allgemein als Warnung vor dem Einsatz von Atomwaffen gedeutet - und von Stoltenberg verurteilt. Dass Putin mit militärischen Aktionen die bestehende internationale Ordnung zerstören wolle, sei leider die "neue Normalität", klagt der Generalsekretär. Deshalb sei es wichtig, dass die Nato-Mitglieder sich Gedanken darüber machen, welche Beziehung man langfristig zu Russland haben wolle.

Dass dabei die 1997 unterzeichnete Nato-Russland-Grundakte, wonach sich beide Seiten "nicht als Gegner" betrachten, weiter eine Rolle spielt, ist nach der russischen Invasion in die Ukraine kaum vorstellbar. Zuletzt deutete Frankreich an, dass auch Deutschland die Vereinbarung aufgeben könnte - dann wäre es etwa denkbar, zum Schutz der Nato-Partner in Osteuropa dort auch Raketensysteme und deutlich mehr militärisches Gerät zu stationieren. Stoltenberg sagt dazu nur: "Heute ist nicht der Tag, um solche Schlüsse zu ziehen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungUkrainischer Präsident Selenskij
:Ein todesmutiger, ein trotziger Auftritt

Der ukrainische Präsident hat in der Nacht des Angriffs die vielleicht beste Rede seines Lebens gehalten. Aber es ist Wladimir Putin, der auf die bange Frage, ob es eine freie, selbstbestimmte Ukraine geben kann, jetzt die Antwort gibt.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: