Nach Anschlag in Russland:Faeser warnt vor Terrorgefahr auch in Deutschland

Lesezeit: 3 min

"Dieser Anschlag zeigt, wie ernst die globale Bedrohung durch islamistischen Terror zu nehmen ist", sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser über die Terrorattacke in Moskau. (Foto: Friedrich Bungert)

Die Innenministerin vermutet Islamisten hinter der Terrorattacke in Moskau - von einer Gruppe, die auch hierzulande aktiv sei. Nach russischen Angaben wurden elf Personen festgenommen, gegen vier Verdächtige erhebt ein Gericht Anklage.

Von Markus Balser, Silke Bigalke und Constanze von Bullion, Berlin, Moskau

Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte mit 137 Toten und 152 Verletzten vermutet die Bundesregierung Islamisten hinter der Tat und warnt vor Gefahren auch in Deutschland. Es sei "davon auszugehen, dass die Terrorgruppe 'Islamischer Staat Provinz Khorosan' den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Süddeutschen Zeitung.

Da der Ableger der Terrormiliz IS auch in Deutschland aktiv ist, warnen Sicherheitsbehörden auch hierzulande vor Anschlägen. "Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibt akut", sagte Faeser. "Vom 'ISPK' geht derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus." Erst am Dienstag hatte die Bundesanwaltschaft in Gera zwei mutmaßliche Islamisten der Miliz festnehmen lassen. Sie sollen einen Anschlag auf das schwedische Parlament geplant haben. "Dieser Anschlag zeigt genauso wie der Sprengstoffanschlag vor Kurzem in der iranischen Stadt Kerman, wie ernst die globale Bedrohung durch islamistischen Terror zu nehmen ist", so Faeser weiter.

SZ PlusTerror bei Moskau
:Spuren in die Ukraine?

Washington zeigt nach dem Angriff bei Moskau auf den IS, Russland beschuldigt dagegen die Ukraine. Kiew weist die Anschuldigungen als "absurd" zurück. Eine lose IS-Verbindung in die Ukraine könnte Anlass geben für mögliche Spekulationen.

Von Tomas Avenarius

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau hatten Attentäter am Freitagabend wahllos auf Besucher geschossen. Zudem gab es Explosionen im Gebäude und einen Großbrand. Schon kurz nach der Tat eskalierte auf internationaler Ebene ein Streit über die Hintergründe der Tat. Ein Ableger der Terrormiliz IS hatte den Anschlag bereits in der Nacht zu Samstag für sich reklamiert. Westliche Geheimdienste stuften die Bekennernachricht als echt ein.

Russlands Präsident Wladimir Putin deutete dagegen eine ukrainische Spur hinter dem Angriff an. Auch die Chefin des russischen Staatsmediums RT, Margarita Simonjan, sah die Verantwortlichen für den Anschlag nicht beim "Islamischen Staat". Die Täter seien so ausgewählt worden, "dass man eine dumme Weltgemeinschaft davon überzeugen kann, dass es der IS war", sagte Simonjan, die als Putin-Vertraute gilt.

Auf der Flucht festgenommen

Ein Gericht in Moskau habe vier Tatverdächtige nach den Verhören bereits informiert, dass gegen sie Anklage wegen des gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlags erhoben werde, berichtete die Staatsagentur Tass am Sonntagabend. Den Verdächtigen drohe eine lebenslange Haftstrafe, meldete die Nachrichtenagentur Ria. Nach offiziellen russischen Angaben wurden elf Personen festgenommen, darunter vier Bewaffnete, die aus der Konzerthalle geflohen und in die Region Brjansk geflüchtet waren. Die Region grenzt an die Ukraine.

Russland will nach Worten des Vizechefs des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, die Drahtzieher des Anschlags ins Visier nehmen. "Wir werden jeden einzelnen (der Getöteten und Verletzten) rächen", gab Medwedew über den Nachrichtendienst Telegram bekannt. Der "Islamischer Staat" veröffentlichte auf seinen Telegram-Kanälen Szenen des Anschlags. Das Video zeigte die Nahaufnahme eines der Schützen, der das Feuer auf mehrere Menschen in einer offenbar großen Konzerthalle eröffnet. Die Terrormiliz reagierte damit mutmaßlich auf die russischen Anschuldigungen gegen die Ukraine und versuchte, die eigene Verantwortung für den Anschlag zu belegen.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wies unterdessen die Versuche Putins zurück, der Ukraine eine Mitverantwortung für den schweren Anschlag zuzuschieben. "Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben", sagte er in einer Videoansprache. Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe "dieser absolute Niemand Putin" einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine eigenen Bürger zu kümmern. In dieser Zeit habe Putin darüber nachgedacht, "wie er das in die Ukraine bringen kann".

Das Entsetzen ist groß

Zahlreiche Staatsoberhäupter und Regierungen zeigten sich am Wochenende entsetzt über den Anschlag. Auch Papst Franziskus verurteilte die "unmenschlichen Taten". Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Faeser sprachen den Familien der Opfer ihr Mitgefühl aus. Gleichzeitig warnte Faeser im SZ-Interview vor den wachsenden Gefahren durch die hybride Kriegführung Russlands. "Wir erleben hier tatsächlich eine neue Dimension der Bedrohungen durch die russische Aggression", sagte die SPD-Politikerin. "Wir sehen Einflussnahmeversuche durch Lügen, durch massive Desinformation. Aber auch die Spionage ist mindestens so aktiv." Die Innenministerin warf dem Kreml zudem vor, Fluchtbewegungen nach Westeuropa gezielt zu fördern. "Russland will den Westen auch mit Migration destabilisieren", sagte sie. "Menschen werden brutal instrumentalisiert." Finnland erlebe das derzeit an der eigenen Grenze.

Nancy Faeser kündigte weitere Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen in Europa an. "Besonders wichtig ist, die Wahlen zu schützen", sagte sie. "Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Hackerangriffe auf Wahlbehörden oder auf die Übermittlung von Wahlergebnissen gibt." In Deutschland werde dazu eine neue Früherkennungseinheit gegen Falschnachrichten aufgebaut, die mit künstlicher Intelligenz manipulative Nachrichten erkennen solle, "bevor sie zu einer großen Welle werden und das Netz fluten". Pläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP), den Etat des Bundesinnenministeriums 2025 zu kürzen, wies Faeser angesichts der Bedrohungslage zurück. Diese Regierung habe bislang nicht an der inneren Sicherheit gespart, sagte sie. "Und so muss es auch bleiben."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungTerror in Russland
:Putins Zorn

Der mutmaßlich islamistische Angriff trifft das russische System im Kern. Das Regime verliert die Kontrolle über sein Feindbild. Der Präsident wird das nicht lange erlauben.

Kommentar von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: