Es muss im Winter 1978 gewesen sein. Die Grenze zur DDR kommt immer näher, irgendwo hoch oben im Norden. Wir steuern in unserem alten Mercedes 200D den Grenzübergang an, es muss Herrnburg oder Lauenburg gewesen sein. Wir Kinder im Fonds, drei nebeneinander. Verwandte besuchen in der Zone.
Es ist uns bewusst, dass das etwas anderes ist, als von Westfalen aus nach Holland an den Strand zu fahren. Wir brauchten Visa für die Einreise in die DDR. Und da waren diese seltsamen Telefonanrufe in den Wochen vorher. Erst eine Voranmeldung für ein Gespräch mit meinem Onkel in Cronskamp, einem kleinen Kaff nahe Schwerin. Dann warten.
Das einzige Telefon in dem Ort stand im Gasthaus. Unser Onkel musste erst geholt werden. Der Wirt, hörten wir später, soll bei der Stasi gewesen sein. Und mein Onkel galt als leicht renitent. Meine Eltern brüllten ins Telefon, als führten sie intergalaktische Ferngespräche. Am anderen Ende der Leitung flüsterte mein Onkel.
Kurz vor der Grenze wird es still im Auto. Einige Kilometer vorher haben wir auf einem Rastplatz unsere Comics entsorgt. "Schaut da", sagt meine Mutter, die das Auto fährt. Sie zeigt auf einen langen Zaun, der erst in der Unendlichkeit langsam verschwindet. "Selbstschussanlagen", sagt meine Mutter. Die Zigarette in ihrer Hand zittert.
Ich erinnere noch den scharfen Blick des Grenzbeamten der DDR. Wie er mich anstarrt, dann meinen Kinderausweis, dann wieder mich. Als suche er die kleinste Ungereimtheit zwischen dem Bild in dem Ausweis und meinem Gesicht. Wir machen keinen Mucks. Von Politik haben wir keine Ahnung. Aber dass das so nicht richtig war, erkennen wir.
Es fühlte sich an wie ein Unrechtsstaat
Ein Unrechtsstaat soll die DDR gewesen sein. Totale Unterdrückung. Heute im Jahr 2014 wird in Thüringen darüber verhandelt, ob einer Ministerpräsident des Landes werden darf, der in einer Partei ist, die die Rechtsnachfolge der SED angetreten hat. Der Begriff Unrechtsstaat soll in die Präambel des Koalitionsvertrages mit SPD und Grünen aufgenommen werden.
Ich habe dort nicht gelebt. Ich habe nur die wenigen Eindrücke von den Besuchen dort. Ich kann nicht sagen, ob das stimmt mit dem Unrechtsstaat. Angefühlt hat es sich so.
Da drüben, da ist alles grau, sagte meine Oma immer, wenn sie über die alte Heimat sprach. Ich habe mir das gemerkt. Und war überrascht, dass dort im Sommer die Blumen blühen. Wie zuhause, dachte ich. Nur in Schwerin war es anders. Da war wirklich alles grau. Nirgends Werbung und Geschäfte, in denen es nichts zu kaufen gab. Jedenfalls nichts, was einen Jungen aus dem Westen hätte reizen können.