SPD:Ein bisschen reden

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Parteichef in vertrackter Lage: der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Dienstag beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Seeheimer Kreises. (Foto: Christian Marquard/Pool/Getty Images)

Rolf Mützenichs Vorschlag, den Krieg in der Ukraine einzufrieren, findet in der SPD viel Beifall. Das hat mit einer alten Sehnsucht zu tun - und einem Missverständnis.

Von Georg Ismar

Anfang der Woche, beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Seeheimer Kreises, da klagte ein SPD-Abgeordneter, es werde langsam einsam um ihn. Einerseits in der Fraktion, andererseits aber auch bei Bürgerveranstaltungen. Da gebe es viel Widerstand und kritische Stimmen für die, die, wie er, die Taurus-Lieferung an die Ukraine unterstützen. Die ablehnende Haltung des Kanzlers werde von vielen begrüßt. Auch Unions-Abgeordnete erfahren das verstärkt, vor allem auch von Unternehmern, die Eskalationssorgen sind groß - deshalb wird es so schnell keinen weiteren Antrag zur Taurus-Lieferung geben.

Bei der Feier der konservativen Strömung der SPD-Fraktion im feinen Allianz-Forum am Brandenburger Tor war auch der Kanzler dabei. Der Rüstungskonzern Rheinmetall wurde als Mitsponsor aufgeführt. Die Seeheimer, bekannt für Pragmatismus und Unterstützer des bisherigen Ukraine-Kurses, haben zuletzt immer stärker den Ton angegeben, beanspruchen für sich, an Mitgliedern die bisher führende Parlamentarische Linke überrundet zu haben.

Doch gerade gewinnt in Sachen Krieg und Frieden der linke Flügel zunehmend die Deutungshoheit. Auch der wegen seiner Popularität schon als Reservekanzler gehandelte Verteidigungsminister Boris Pistorius gerät mit seiner Haltung, dass die Ukraine mehr Waffen braucht und die besetzten Gebiete zurückerobern muss, in die Defensive. Zumal er sich klar distanziert hat von Aussagen des SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich, man müsse über Wege nachdenken, diesen Krieg einzufrieren.

Bei Treffen des Seeheimer Kreises wurden Jutebeutel mit einem Aufdruck verteilt, der Olaf Scholz neben Helmut Schmidt am "Steuerrad" der SPD zeigt. (Foto: Georg Ismar)

Am Ende der Feier bei den Seeheimern gibt es rote Jutebeutel für die Gäste - darauf abgebildet Helmut Schmidt und Olaf Scholz als fast schon loriothafte Figuren, beide am Steuerrad. Doch wohin Scholz das SPD-Schiff steuert oder ob er gerade eher gesteuert wird, das ist eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Es wirkt wie ein Spiel mit verteilten Rollen. Scholz betont die weitere, große Unterstützung für die Ukraine, sucht mit EU-Partnern weltweit nach mehr Munition - liefert aber die Taurus-Marschflugkörper nicht und lässt Mützenich ein Ventil öffnen. Die Unterstützung, die Mützenich bei Partei-Linken von Kevin Kühnert bis Ralf Stegner findet, aber auch bei ostdeutschen Politikern, deutet an, dass sich etwas verschiebt. Denn angesichts der Umfragen hat sich mit Blick auf die Europawahl im Juni, die Kommunalwahlen und die drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September zuletzt etwas Panik in der Partei breitgemacht.

Rein innenpolitisch betrachtet, nutzt der SPD dieser Schwenk bislang: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage ist der Krieg in der Ukraine für 61 Prozent das wichtigste Thema derzeit. Rund 66 Prozent sind gegen eine Taurus-Lieferung. Und 46 Prozent meinen, die Ukraine müsse auch zu Friedensverhandlungen bereit sein, wenn Russland weiterhin Regionen des Landes besetzt hält. Die SPD kommt erstmals seit Oktober wieder auf 16 Prozent.

Die eigene Russland-Politik hat die Partei nie aufgearbeitet

Der wegen seiner Russland-Geschäfte und Putin-Nähe in der Partei in Ungnade gefallene Altkanzler Gerhard Schröder hat Mützenich demonstrativ für seinen Kurs gelobt. Dass Schröders Beifall nicht empört zurückgewiesen wird, zeigt, dass sich etwas dreht in der Partei. Dessen Position, dass - etwa unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich - über einen Friedensschluss zu verhandeln versucht werden müsste, statt immer weiter der Ukraine Waffen zu liefern, wird stärker. Aber die eigene Russland-Politik, historische Fehler wie die einseitige Erdgasabhängigkeit von Putins Gnaden und das Überhören der Warnungen der osteuropäischen Länder, all das wurde bisher kaum aufgearbeitet. Und immer schwingt die Sehnsucht nach einer neuen Entspannungspolitik mit.

Was viele Sozialdemokraten allerdings verkennen: Willy Brandt verhandelte mit der Sowjetunion aus einer Position auch der militärischen Stärke. In seiner Kanzlerschaft stieg der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf rund 3,4 Prozent, das ist deutlich mehr als heute. Besonders für Parteichef Lars Klingbeil ist die Lage vertrackt. Er hatte im vergangenen Jahr den Bruch zur früheren Russland-Politik vollzogen. In einer Grundsatzrede am 19. Oktober 2022 sagte er, es gelte nun, Sicherheit "vor Russland" zu organisieren. Aber schon bei der weiteren Erhöhung der Verteidigungsausgaben wird in der Partei gebremst. Und in vertraulichen Runden wird mit Blick auf die Ukraine erörtert, ob der Krieg nicht am Ende ohnehin mit einem Abkommen eingefroren werden könne, wie nach der Krim-Annexion, "Minsk 3" sozusagen. Aber die Atempause nutzte Putin, um aufzurüsten und dann gegen die ganze Ukraine loszuschlagen.

Klingbeil hat Mützenichs jüngsten Vorstoß verteidigt, aber ins Konzept passt ihm diese Debatte nicht. Denn sie lässt den Eindruck einer Rolle rückwärts entstehen, auch bei den Koalitionspartnern FDP und Grünen. Klingbeil wirft Kritikern vor, nicht die ganze Rede im Kontext gelesen zu haben. Und seiner Partei rät er, den ganzen Willy Brandt zu sehen. "Seine Außenpolitik war ein erfolgreicher Dreiklang", sagte Klingbeil in seiner Rede zur neuen Ostpolitik, "aus erstens Diplomatie, zweitens klarer Haltung mit Blick auf Menschenrechte und internationales Recht - darunter das klare Bekenntnis zur Unverrückbarkeit von Grenzen - und drittens der eigenen militärischen Stärke. Letzteres vergessen wir häufig."

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