Gaza-Krieg:Angst vor dem "ägyptischen Albtraum"

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Palästinensische Kinder in Rafah warten auf die Verteilung von Essen durch eine Hilfsorganisation. (Foto: Ibraheem Abu Mustafa/Reuters)

Die Regierung in Kairo will eigentlich keine Palästinenser ins Land lassen. Aber was, wenn die israelische Armee Rafah angreift?

Von Bernd Dörries, Kairo

Die Mauern sind höher geworden an der Grenze zum Gazastreifen, frisch lackierte Panzer stehen auf der ägyptischen Seite und zielen mit ihren Rohren auf den Norden. Nur, auf wen eigentlich genau? Wenige Kilometer weiter liegt der Grenzort Rafah auf palästinensischer Seite, vor dem Terror der Hamas und dem Gegenangriff Israels auf den Gazastreifen lebten dort etwa 200 000 Einwohner, heute sollen es 1,4 Millionen sein. Die meisten vegetieren auf der Straße vor sich hin, unter Zeltplanen und in Behelfsunterkünften. Sie sind aus allen Teilen des besetzten Gebiets geflohen, brachten sich nach den Aufforderungen der israelischen Armee hier einigermaßen in Sicherheit. Die nun auch das vermeintlich sichere Rafah angreifen will.

Dort vermutet Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die letzte verbliebene Hochburg der Hamas; den Zivilisten versprach er "einen sicheren Durchgang", sagte aber nicht, wohin der führen soll.

Die Vereinten Nationen fürchten bereits einen "ägyptischen Albtraum", so sagte es UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Donnerstag. Die Angriffe auf Rafah könnten Hunderttausende Flüchtlinge nach Ägypten drängen. Und Präsident Abdel Fattah al-Sisi in eine schwierige Lage bringen. Würde er die Panzer an der Grenze zu Gaza wirklich auf Palästinenser schießen lassen, wenn diese versuchen, über die Mauern zu kommen? Schwer vorstellbar.

Wer würde über die Grenze kommen? Kairo fürchtet, auch Islamisten

Al-Sisi hat aber seit Oktober immer wieder klargemacht, dass er keine Massenflucht von Palästinensern zulassen werde, knapp 2000 Schwerverletzte durften über die Grenze, mehr aber auch nicht.

Für Ägypten wäre ein massenhafter Zustrom aus Gaza ein Sicherheitsrisiko, Palästinenser könnten von dort aus Israel angreifen oder sich mit lokalen Islamisten zusammentun, die Ägypten im Nordsinai seit Jahren bekämpft. Die Gegend sieht noch heute aus wie ein Kriegsgebiet, das nur mit Sondergenehmigung betreten werden darf. Autos und Lkws müssen durch riesige Scanner, überall sieht man kilometerlange Betonmauern und Checkpoints der Armee.

Schon 2008 hatten Zehntausende Palästinenser den Grenzzaun überrannt, um in Ägypten Essen und Kleidung einzukaufen. Seitdem wurde die Grenze verstärkt, mit dem Machtantritt von al-Sisi im Jahr 2013 wurden viele Tunnel zugeschüttet, über die Schmuggler alles Mögliche nach Gaza brachten, Autos, Tiere und Waffen. Al-Sisi hatte die Muslimbrüder von der Macht geputscht, die enge Verbindungen zu Hamas haben. Wer weiß also, wer da genau über die Grenze kommen würde?

Eine Massenflucht wäre einigen in Israel ganz recht

Vor allem aber will al-Sisi nicht als derjenige gelten, der eine zweite Nakba zulässt. Die erste war die Vertreibung und Flucht der Palästinenser in den Kämpfen und Kriegen um Israels Staatsgründung 1948. Nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober äußerten viel israelische Politiker große Sympathien dafür, die Bevölkerung von Gaza nach Ägypten abzuschieben, und so das Palästina-Problem zu lösen. "Ich sage den Bewohnern des Gazastreifens: Geht jetzt, denn wir werden überall mit Gewalt vorgehen", sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Tag nach den Terrorangriffen der Hamas.

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Der ehemalige israelische Botschafter in Washington, Danny Ayalon, warb im Fernsehen für die aus seiner Sicht praktische Lösung: "Wir sagen den Menschen in Gaza nicht, dass sie an die Strände gehen oder sich ertränken sollen (...). Nein, Gott bewahre (...). Geht in die Wüste Sinai (...). Die internationale Gemeinschaft wird ihnen Städte bauen und sie mit Nahrung versorgen (...). Ägypten sollte da mitspielen."

Ägypten spielt aber nicht mit. Auch nicht gegen Geld, wie in den sozialen Medien gerade kolportiert wird, da der Internationale Währungsfonds wohl gerade ein Hilfsprogramm für Ägypten aufstellt, das bis zu zwölf Milliarden Dollar schwer sein könnte. Im Gegenteil, ägyptische Diplomaten sollen ihren Partnern aus Europa und den USA in den vergangenen Tagen deutlich gemacht haben, dass eine Massenflucht von Palästinensern eine Verletzung des Friedensvertrags von 1979 darstellen würde.

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