USA und Russland:Gipfel des Misstrauens

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Handschlag in Genf: Wladimir Putin und Joe Biden bei ihrem Treffen im Juni. (Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa)

Die Präsidenten Biden und Putin wollen in einer Videoschalte über die Ukraine reden. Die Lage ist ernst, die Krise an der Grenze spitzt sich zu. Beide Seiten bauen nun Druck auf.

Von Silke Bigalke, Moskau

Er stelle sich auf eine lange Diskussion mit Wladimir Putin ein, hat Joe Biden bereits erklärt. Der US-Präsident möchte mit dem Kremlchef an diesem Dienstagabend per Videoschalte über die Ukraine sprechen, die Lage ist ernst. Seit Wochen warnt Washington vor einem möglichen russischen Angriff auf das Nachbarland. Das russische Verteidigungsministerium verlegt zusätzliche Truppen, Soldaten und Panzer an mehrere Orte nahe der ukrainischen Grenzen, fast täglich werden neue Informationen dazu aus Washington oder Kiew öffentlich. Sollte sich Putin in den kommenden Wochen zu einer Invasion entscheiden, könnten laut Washington Post bis zu 175 000 Soldaten daran beteiligt sein. Anderen Quellen zufolge befindet sich die Hälfte dieser Truppen bereits in Grenznähe.

Während der Westen warnt, fährt der Kreml eine Dreifachstrategie aus Abstreiten, Abschrecken - und Gegenanschuldigungen. Es seien Kiew und die Nato, die die Lage in der Ostukraine zuspitzten, warnt der Kreml seit Monaten. Putin selbst beklagte wiederholt Nato-Militärübungen über und auf dem Schwarzen Meer. Zuletzt meldete Russlands zivile Luftfahrbehörde, zwei Passagierflugzeuge hätten einem Aufklärungsflieger der Nato ausweichen müssen. Eine "Katastrophe über dem Schwarzen Meer" sei vermieden worden, schrieb am Sonntag die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf Facebook. Das hieße aber nicht, "dass die USA und die Nato Menschenleben künftig ungestraft riskieren können".

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Gleichzeitig wirft der Kreml dem Westen "Hysterie" vor, was die russischen Truppenbewegungen angehe. Und doch freute sich Putin im November öffentlich über die "Anspannung", die nun spürbar werde - für ihn ein Zeichen, dass seine Warnungen über Russlands "rote Linien" gehört werden. Der Präsident will Druck aufbauen, er hat auch schon erklärt, mit welchem Ziel: Putin fordert "präzise rechtliche, juristische Garantien" dafür, dass sich die Nato nicht weiter Richtung Osten ausdehnt. Er möchte diese Zusage schriftlich haben, der Westen halte sich nicht "an mündliche Abmachungen", sagte Putin vergangenen Donnerstag vor Diplomaten. Es geht ihm offenbar nicht mehr nur darum, einen Nato-Beitritt der Ukraine oder etwa Georgiens zu verhindern, sondern auch jede Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsbündnis.

Moskau wolle eine "rechtliche Vereinbarung" ausarbeiten, erklärte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow, "die jedes weitere Vordringen der Nato nach Osten sowie die Stationierung von uns bedrohenden Waffensystemen auf dem Territorium von Nachbarstaaten ausschließen würde". Mit dem Truppenaufmarsch hat der Kreml bisher eher das Gegenteil erreicht, Washington erwägt neue Rüstungslieferungen an Kiew.

Putin spricht über den Ukraine-Konflikt lieber mit Biden als mit den Europäern

Putin selbst scheint nicht mehr auf eine diplomatische Lösung in der Ostukraine zu setzen. Seit mehr als sieben Jahren schwelt dort ein Konflikt, in dem Moskau verdeckt prorussische Separatisten bewaffnet und unterstützt hat. Es setzte ein Friedensabkommen durch, das den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk einen Sonderstatus verschaffen sollte. Würde dieses Minsker Abkommen in Moskaus Sinne umgesetzt, müsste die ukrainische Verfassung geändert werden, würde Russlands Einfluss im Land zementiert. Kiew betrachtet diese Bedingungen als praktisch unannehmbar.

Für den Kreml ist das Grund genug, der ukrainischen Regierung jede Verhandlungsfähigkeit abzusprechen. "Die ukrainischen Anführer der aktuellen Generation sind absolut unselbständige Menschen", schrieb kürzlich Dmitrij Medwedjew, der frühere Präsident und Ministerpräsident und heute stellvertretender Leiter von Putins Sicherheitsrat. Die Ukraine stehe unter "ausländischer Verwaltung", es habe keinen Sinn, mit "Vasallen" zu verhandeln. Doch auch ein Treffen im sogenannten Normandie-Format, in dem Deutschland und Frankreich zu vermitteln versuchen, hat Moskau zuletzt abgesagt. Erst am Wochenende wiederholte Außenminister Sergej Lawrow seine Klage, die Ukraine werde von sich aus "natürlich nichts tun", um das Minsker Abkommen zu erfüllen. "Sie muss gezwungen werden, genau dafür wurde das Normandie-Format geschaffen", sagte Lawrow, "aber Berlin und Paris vernachlässigen derzeit ihre Verpflichtungen." Will Putin nun eine Lösung zu seinen Bedingungen erzwingen?

Aus Sicht des Kremls hat Washington den größten Einfluss auf Kiew, Putin spricht lieber mit Biden über den Konflikt als mit den Europäern. Er werde das "nach meinem Dafürhalten umfassendste und bedeutsamste Bündel an Initiativen zusammenzustellen", sagte Biden am Freitag, "um es Herrn Putin sehr, sehr schwer zu machen, weiter voranzuschreiten". Die beiden Präsidenten haben sich zuletzt im Sommer in Genf persönlich getroffen. Auch damals hatte der Kreml zuvor Truppen in Grenznähe zur Ukraine zusammengezogen - und erklärte dies mit Übungszwecken. Kurz nachdem Biden ein persönliches Treffen vorgeschlagen hatte, zog das russische Verteidigungsministerium sie größtenteils wieder ab.

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