Der Soziologe Simon Teune, 40, von der TU Berlin, beschäftigt sich mit der Kultur des Protests. Er arbeitet auch im Institut für Protest und Bewegungsforschung, das die Demonstrationen und Veranstaltungen rund um den G-20-Gipfel in Hamburg beobachtet hat.
SZ: Herr Teune, der sogenannte Schwarze Block steht nach der Eskalation der Gewalt in Hamburg im Fokus. Wer verbirgt sich dahinter?
Simon Teune: Der Schwarze Block ist keine Gruppe, sondern eine Protesttaktik in Demonstrationen. Viele Demonstrationen sind in Blöcken organisiert, in denen man nach Zugehörigkeit mitläuft. Da stellt die Partei Die Linke einen Block auf, die Gewerkschaften, der Bund Naturschutz etc.
Und wer stellt den Schwarzen Block auf?
Der stellt sich selbst auf. Dort finden sich Kleingruppen zusammen, die autonome oder anarchistische Prinzipien teilen. Dieses Spektrum mobilisiert seine Leute zu einer Demonstration, die finden sich dann vor Ort.
Sind die Menschen im Schwarzen Block grundsätzlich gewaltbereit?
In Hamburg muss man sagen: die Menschen, die da Autos angezündet und Läden geplündert haben, würden bei einer Demonstration sehr wahrscheinlich im Schwarzen Block mitlaufen. Aber umgekehrt findet nicht jeder aus dem Schwarzen Block gut, was da passiert ist. Die Leute aus der Roten Flora zum Beispiel haben ein großes Problem damit, dass ihr Viertel auseinandergenommen wurde. Die Vielfalt innerhalb des Blockes ist größer als man denkt.
Wer läuft im Schwarzen Block mit?
Das sind die klassischen, an autonomen Prinzipien orientierten Gruppen, anarchistische Gruppen, aber je nach Anlass auch Gruppen aus der Interventionistischen Linken, die sich gerade nach einer Kritik an der konfrontativen autonomen Politik gebildet haben.
Wer ist denn da auf Radau aus?
Es gibt im Schwarzen Block viele Kleingruppen, die für sich entscheiden, wie sie in einer Situation vorgehen. Da gibt es solche, die offensiv die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen. Die waren durch die Konstellation in Hamburg besonders mobilisiert. Aber es gibt auch post-autonome Strömungen, die haben einen anderen Ansatz. Sie stehen dafür, dass von ihnen keine Eskalation ausgeht und die Polizei nicht ihr Gegner ist.
Spielt der Schwarze Block nur bei linken Demos eine Rolle?
Es gibt auch bei einigen Neonazi-Aufmärschen Schwarze Blöcke, die autonomen Nationalisten haben von der Kleidung über die Slogans bis zum Schwarzen Block alles von der radikalen Linken kopiert. Das ist eine neuere Entwicklung.
Worin lag der Sinn, in Hamburg einen Schwarzen Block zu bilden? Man wusste doch, dass die Polizei nur darauf gewartet hat.
Die Ausschreitungen in Hamburg kann man ohne die Vorgeschichte nicht verstehen. Die Polizei hat von Anfang an Signale ausgesendet, dass Proteste in Hamburg keinen Raum haben. Sie hat die Übernachtungscamps nicht zugelassen. Sie hat eine Verbotszone eingerichtet, in der Protest nicht möglich sein sollte und am Donnerstag dann als Höhepunkt zerschlägt sie eine genehmigte Demonstration - aus nichtigen Gründen und in einer Form, die wahllos Menschen verletzt und gefährdet hat. Diese Vorgeschichte hat dazu geführt, dass die Leute, die die Polizei als Gegner sehen und ein Zeichen des Widerstands setzen wollen, angespitzt wurden.
Das rechtfertigt aber nicht die schweren Krawalle.
Ich sage nicht, dass die Polizei für die Handlungen der Randalierer verantwortlich ist. Das wäre ja blödsinnig. Aber die Polizei setzt in so einer komplizierten Situation Rahmenbedingungen, in denen sich das Protestgeschehen dynamisch entwickelt. Die Demonstration am Donnerstag durfte gar nicht loslaufen, sie wurde gestoppt und zerschlagen, obwohl die Einigung mit der Polizei erfolgt war. Große Teile haben die Vermummung wieder abgelegt. Und wenn die Polizei dann noch mit Wasserwerfern auf Leute spritzt, die auf einem Dach stehen, wenn sie eine Menschenmenge ohne Fluchtweg in die Zange nimmt und wahllos auf Demonstrierende und Unbeteiligte einschlägt, dann bringt das noch mehr Menschen gegen die Polizei auf.