Klimaprotest:Wer die "Fridays for Future" bewegt

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Seit drei Monaten gehen junge Leute für Klimaschutz auf die Straße. Wer sind die Menschen, die demonstrieren? Vier von ihnen stellen sich vor.

Von Jacqueline Lang, Berlin

Es ist Freitag. Das bedeutet in Berlin wie in vielen anderen Städten in Deutschland und weltweit seit etwa drei Monaten: Junge Menschen gehen auf die Straße. Gegen den Klimawandel, für radikales Umdenken in der Politik und dafür, endlich ernst genommen zu werden. Knapp 2000 Schüler und Studenten sind es an diesem grauen Tag Mitte April im Berliner Invalidenpark.

Tom Patzelt, 20

Dienstags Plenum, freitags Demo und sonntags Telefonkonferenz. Schnell hat sich Tom Patzelts Engagement bei Fridays for Future zu einer Art Vollzeitjob entwickelt. (Foto: Jacqueline Lang)

25 000 Menschen waren es, die gemeinsam mit der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg Ende März zum Brandenburger Tor marschiert sind. Im Vergleich dazu ist die Zahl der Demonstranten nun, zwei Wochen später, überschaubar. Tom Patzelt kann es trotzdem kaum fassen. Er gehört zum Organisationsteam von Fridays for Future Berlin und freut sich, dass an einem ganz normalen Freitag ohne prominente Gäste nicht nur ein paar Hundert Menschen vor der Bühne tanzen, sondern geschätzte 2000.

Für ihn und seine Mitstreiter ist die hüpfende Masse der Beweis dafür, dass die Bewegung noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Patzelt ist seit Anfang Januar Teil des Protests. Die letzten Wochen seien intensiv gewesen, erzählt er. Er studiert Technischen Umweltschutz an der TU Berlin. Wie 100 andere Aktivisten hat er drei Monate an der Formulierung des Forderungspapiers gearbeitet, das die Mitglieder der Arbeitsgruppe (AG) "Grundsatz" schließlich Anfang April im Berliner Naturkundemuseum der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Patzelt hat die Pressekonferenz moderiert.

Die als Tanzdemo angekündigte Demonstration ist für ihn deshalb nach den vielen Wochen Arbeit - teilweise dauerten die Telefonkonferenzen der AG sechs Stunden - endlich mal ein "Wohlfühlmoment". Anders als in der öffentlichen Wahrnehmung seien die Freitagsdemos nämlich längst nur noch "ein Bestandteil von vielen", sagt Patzelt. Dort dabei ist der Student natürlich trotzdem, denn viele der Menschen, die er erst seit wenigen Wochen kennt, sind längst zu Freunden geworden. Es wird gelacht, getanzt.

Seit Wochen hat Patzelt neben dem Plenum am Dienstag, der Demo am Freitag und der Telefonkonferenz am Sonntag kaum noch Zeit für sein Studium, geschweige denn für einen Job. Damit ist er keine Ausnahme: Fridays for Future, das hat sich für ihn wie für viele andere Aktivisten binnen Wochen zum unbezahlten Vollzeitjob entwickelt.

Bis vor wenigen Wochen waren die meisten von denen, die jetzt Demonstrationen organisieren, Journalisten Interviews geben und Politiker in Erklärungsnot bringen, einfach nur Kinder, Jugendliche. Mittlerweile gibt es mehr als 400 Ortsgruppen mit jeweils mehreren Hundert Mitgliedern, nahezu täglich schreibt eine Zeitung über die Aktivisten und diese wiederum gehen jeden Freitag auf die Straße und rufen Parolen wie "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut". Zeit zum Verschnaufen blieb bislang kaum.

Luna Renninger, 16

Luna Renninger geht eigentlich noch zur Schule. Seit sie in ihrer Heimatstadt Flensburg die Fridays for Future Ortsgruppe gegründet hat, ist sie als Delegierte allerdings kaum noch zuhause. (Foto: Privat)

Auch Luna Renninger läuft seit Wochen von Termin zu Termin. Hat sie doch mal eine freie Minute, starrt sie auf ihr Handy: Die interne Kommunikation läuft vor allem über Whatsapp- oder Telegramgruppen. Es gibt offizielle Gruppen, in die gelangt jeder ganz einfach, indem er einen QR-Code einscannt. In andere, interne Gruppen muss man eingeladen werden. Schon hier beginnt die Unterscheidung zwischen der großen Bewegung und dem vergleichsweise kleinen Kernteam aus Delegierten und Wortführern.

Am Samstagabend sitzt Renninger in einem Café in Kreuzberg, aber schon in 40 Minuten geht ihr Zug zurück nach Flensburg. Seit sie im Dezember dort eine Fridays-For-Future-Ortsgruppe gegründet hat, ist sie allerdings nur noch selten daheim. Bereits seit Donnerstag sitzt die Delegierte nicht mehr im Klassenzimmer, sondern war stattdessen in Leipzig und Berlin: Bei der Vorführung eines Films, der Fridays for Future gewidmet ist, auf der Tanzdemo und zwischendurch hat sie noch mit Politikern gesprochen. Ihr Glück: Ihre Mutter und ihre Lehrer unterstützen sie. Klar, dass sie auf eine Waldorfschule gehe, mache es sicher leichter, sagt sie. Den ganzen verpassten Stoff irgendwann nachholen muss sie trotzdem. Um sich die Fahrten quer durch Deutschland zu finanzieren, verkauft sie seit Kurzem Crêpes.

Es waren anstrengende Tage für Renninger, immer wieder verliert sie den Faden, die Gedanken sprudeln ungeordnet aus ihr heraus. Müdigkeit und Ratlosigkeit stehen ihr in ihr junges Gesicht geschrieben. Manchmal, da sei es schon ein bisschen zu viel. Daran, einen Gang zurückzuschalten, denkt sie trotzdem nicht. Ihr Engagement sei alternativlos, solange "die Politiker alle nur das Gleiche sagen, aber nichts machen". Am Abend, als sie zurück in Flensburg ist, hat sie dann aber doch mal für einen kurzen Moment innegehalten, wie sie am nächsten Tag am Telefon erzählt: Sie sei in die WG von Freunden gefahren, sie hätten die ganze Nacht gequatscht - und zum ersten Mal seit Langem sei es kein einziges Mal um Fridays for Future gegangen.

"Fridays for Future"
:Gruppenarbeit für das Klima

Der Forderungskatalog der "Fridays for Future"-Bewegung enthält bewusst nur Ziele, keine Maßnahmen. Die Schüler vernetzen sich immer mehr.

Von Jacqueline Lang

Nach der anfänglichen Euphorie holt die Jugendlichen nun langsam die Realität ein. "Wir rennen praktisch dauernd gegen eine Wand", sagt Patzelt, ohne Verbitterung. Vielleicht, weil für ihn eines feststeht: Solange die Politik nicht handelt, solange werden sie kämpfen. Für die Bewegung, die mit einem Mädchen vor dem schwedischen Parlament gestartet ist, bedeutet das aber vor allem eines: Sie muss lernen, sich besser zu organisieren. Dafür müssen die Aktivisten aber erst einmal wissen, was sie wollen - mal abgesehen vom Klimaschutz. Im Augenblick gibt es viele Fragen, aber kaum Antworten. Das liegt daran, dass auch zwei der zentralsten Fragen ungeklärt sind: Wer gehört zur Fridays-for-Future-Bewegung? Und: Wer ist dazu berechtigt, Antworten im Namen von mehreren Tausend Menschen zu geben?

Bislang waren Luisa Neubauer, 22, aus Göttingen und Jakob Blasel, 18, aus Kiel die Galionsfiguren von Fridays for Future Deutschland. Seit ein paar Wochen allerdings werden immer wieder Vorwürfe um einen vermeintlichen "Personenkult" laut. Neubauer, gegen die sich der Unmut vor allem zu richten scheint, sagt: "Mir ist wichtig, dass wir darüber diskutieren, wer uns repräsentiert."

Die meisten scheinen das ähnlich gelassen zu nehmen wie Neubauer. Viele unterschiedliche Meinungen, manchmal auch Meinungsverschiedenheiten, das gehöre dazu bei einer so großen und so neuen Bewegung. Andere sagen, sie hätten Angst, dass alles zerbricht, das Gefühl, dass sie gar nicht wissen, ob das, was sie tun, richtig ist. Und überhaupt: Was tun sie eigentlich? Zitieren lassen will sich bislang niemand mit solchen Zweifeln. Denn auch darüber, ob man die Diskussion öffentlich führen und damit möglicherweise die Bewegung selbst gefährden will, gibt es intern Unstimmigkeiten - und immer wieder Fragen, so unfassbar viele Fragen.

Joschua Wolf, 23

Joschua Wolf ist in seiner bayerischen Heimat bei der Grünen Jugend aktiv. Seit er ein Praktikum im Bundestag macht, engagiert er sich aber vor allem für Fridays for Future. (Foto: Anna Wester)

Joschua Wolf ist momentan der Älteste im Berliner Organisationsteam und moderiert die Tanzdemo. Er hat kein Problem damit, dass Neubauer als das deutsche Gesicht der Bewegung gesehen wird. Trotzdem glaubt auch er, dass der Zustand auf Dauer nicht tragbar ist. "Momentan leben wir immer nur von Freitag zu Freitag. Auf Dauer funktioniert das so nicht." Nicht für Neubauer, die nicht alles gleichzeitig machen kann. Aber auch nicht für den Rest: "Wir leben vom Chaos und der Vielfalt."

Wolf hat kurze Haare, einen kleinen Silberstecker in der Nase, auf sein Jeanshemd hat er einen Fridays-for-Future-Aufnäher genäht. Er studiert Umweltsicherung an der Hochschule in Triesdorf, einem kleinen Dorf in Bayern. Momentan macht er aber im Bundestag ein Praktikum bei der klimapolitischen Sprecherin der Grünen. Auch in der bayerischen Heimat ist Wolf bei der Grünen Jugend aktiv. Trotzdem sagt er: "Ich sehe mich nicht als Politiker oder Aktivist. Ich engagiere mich als Mensch."

Seit 19 Wochen wird in Berlin nun schon demonstriert. Getan hat sich bislang kaum etwas. Die Frage, ob es möglicherweise eine noch radikalere Form des Protests braucht, stellt sich für Wolf und die anderen trotzdem nicht. Die Schule zu schwänzen, das sei "ziviler Ungehorsam", sagt Wolf. Und pazifistisch wollen sie bleiben, in diesem Punkt zumindest sind sich alle einig. Es gelte deshalb nur, den Druck weiter zu erhöhen, noch mehr Menschen zu mobilisieren.

Sofia Lehmann, 18

Sofia Lehmann ist mitverantwortlich dafür, dass die Demos in Zukunft abwechslungsreicher werden. Mehr Programmvielfalt soll noch mehr Menschen mobilisieren. (Foto: Jacqueline Lang)

Sofia Lehmann, die gemeinsam mit Wolf moderiert hat, ist mitverantwortlich für ein neues Konzept, das dabei helfen soll: Mehr Partizipation, mehr Abwechslung. Die Streikgestaltungs-AG, in der Lehmann mitwirkt, hat sich überlegt, dass in Zukunft auch Redebeiträge aus dem Publikum möglich sein sollen. So wollen sie verhindern, dass immer nur die Gleichen auf der Bühne stehen. Es soll mehr Musik geben, auch mal einfach nur getanzt oder wie am vergangenen Karfreitag gepicknickt werden dürfen. Als eine der Wenigen geht Lehmann momentan weder zur Schule, noch studiert sie. Ihren Abschluss hat sie in den USA gemacht. Das hört man, wenn die junge Frau mit den Grübchen, die sich schon seit Jahren bei der Greenpeace Jugend engagiert, Deutsch spricht. Lehmann muss in Berlin zunächst eine Prüfung ablegen, bevor sie sich an der Uni für Geografie einschreiben kann. Bis es so weit ist, kellnert sie - und engagiert sich seit Februar mehr für Fridays for Future als für die Jugendgruppe von Greenpeace. "Wir nehmen unseren Frust und machen endlich was." Diesen Freitag zum Beispiel einen Kleidertausch sowie einen Poetry Slam.

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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