It's over. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate haben die Konservativen ihre Nummer eins abgeschossen. Nur 45 Tage war Liz Truss im Amt, den Titel "Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit" hat sie sicher. Bei den Tories herrschte in den vergangenen Tagen völliges Chaos, in den Fluren des Parlaments spielten sich tumultartige Szenen ab und die Liveticker der britischen Zeitungen lasen sich eher wie eine Soap Opera denn wie politische Berichterstattung. Nun muss jemand gefunden werden, der oder die Truss ersetzt - und zwar möglichst schnell. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Nachfolgesuche.
Bis wann soll die Nachfolge entschieden sein?
Bis zum 28. Oktober muss der Prozess zur Wahl des oder der Parteivorsitzenden abgeschlossen sein. Die Konservativen wollen unbedingt vermeiden, dass die Sache wieder so abläuft wie im Sommer. Wochenlang hat sich damals die Suche nach einer Nachfolgerin für Boris Johnson hingezogen.
Bis zum 31. Oktober soll feststehen, wer neuer Premierminister oder neue Premierministerin ist. Beide Ämter - der Vorsitz der jeweiligen Regierungspartei und das Amt des Regierungschefs - sind untrennbar miteinander verknüpft; das ergibt sich, wie so vieles in Großbritannien, wo es keine geschriebene Verfassung gibt, aus der Tradition. Eine Machtaufteilung wie etwa in Deutschland, wo Kanzler Olaf Scholz nicht Chef der SPD ist, wäre im britischen Parlamentarismus undenkbar.
Bemerkenswert außerdem: Ein neuer britischer Premier wird von König Charles III. ernannt, nicht vom Unterhaus gewählt. Das Parlament hat im Vereinigten Königreich lediglich eine Kontrollfunktion und kann etwa einen missliebigen Regierungschef per Misstrauensvotum stürzen. Es hat in Bezug auf die Regierungsspitze aber keine Wahlfunktion wie der deutsche Bundestag.
Wie sieht das Wahlverfahren aus?
Bei der Nachfolgesuche kommt das sogenannte 1922 Committee ins Spiel, eigentlich eine Gruppe von Hinterbänklern der Tories, die in der Partei aber sehr mächtig ist. Graham Brady, der Chef der 1922er, definiert den Zeitplan: Wahlvorschläge können bis kommenden Montag, 14 Uhr britischer Zeit, eingereicht werden. Aber es gibt eine harte Bedingung: Jede Person, die sich für das Amt des Parteichefs bewirbt, muss die Unterstützung von mindestens 100 Unterhausabgeordneten haben. Da die Konservativen 357 Sitze haben, kann es also maximal drei Kandidaten geben.
Am Montagnachmittag stimmen die Abgeordneten dann ab. Sollten drei Personen aufgestellt werden, gibt es zwei Wahlgänge. Die Person, die im ersten Wahlgang die wenigsten Stimmen bekommen hat, wird für den zweiten Wahlgang aussortiert. Sollten von vornherein nur zwei Personen kandidieren, was Beobachter derzeit als wahrscheinlicher ansehen, ist nur ein Wahlgang nötig, um zu klären, wie die beiden Unterstützer-Lager in der Fraktion verteilt sind. Spätestens um 21 Uhr britischer Zeit am Montag wird verkündet, wie die Abgeordneten gewählt haben.
Am Ende zählt jedoch das Votum der Parteimitglieder. Sie haben in einer Online-Abstimmung bis kommenden Freitag elf Uhr Zeit, sich für einen der beiden Kandidaten zu entscheiden. Und sie tun das im Wissen darüber, wie die Fraktion zuvor gewählt hat. Die Hoffnung der Parteiführung ist, dass es einen Einfluss hat, wenn die Basis weiß, wie die Abgeordneten denken. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung wird dann im Laufe des Freitags mitgeteilt.
Wichtig zu wissen noch: Eine Befragung der Parteibasis wird es nur geben, wenn noch zwei Kandidaten im Feld sind. Für den Fall, dass sich die Abgeordneten hinter einer Person versammeln, entfällt die Online-Abstimmung.
Wer könnte Truss nachfolgen?
Gleich nach Truss' Rücktrittserklärung zirkulierten in London diverse Namen, wer sich als ihre Nachfolgerin, als ihr Nachfolger bewerben könnte. Der frühere Minister Michael Gove winkte als einer der Ersten ab, später folgte der gerade erst vor ein paar Tagen ins Amt gekommene Innenminister Grant Shapps. Auch der neue Finanzminister Jeremy Hunt erklärte über seine Sprecherin den Verzicht auf eine Kandidatur. Der 55-Jährige hätte möglicherweise gewisse Chancen gehabt. Hunt hat ein paar souveräne Auftritte hingelegt, er hat Truss' zentrales Wahlversprechen, Steuern zu senken, faktisch für erledigt erklärt, er hat mit dieser Aussage und seinem ruhigen, gelassenen Auftreten die Lage wieder etwas beruhigt - nicht zuletzt die an den Finanzmärkten. Am Freitagnachmittag nahm sich schließlich Verteidigungsminister Ben Wallace aus dem Rennen.
Ernsthaft mit dem Gedanken zu kandidieren, spielen dagegen die am Mittwoch als Innenministerin zurückgetretene Suella Braverman sowie Handelsministerin Kemi Badenoch, beide vom rechten Flügel der Partei. Favoriten sind sie nicht, dazu zählen andere.
Rishi Sunak: Dem Anschein nach ist er die naheliegendste Lösung, er wäre ja schon einmal fast Premier geworden. Die Vorauswahl in der Tory-Fraktion im Sommer, also durch die Unterhausabgeordneten, gewann Sunak gegen Truss; erst bei der anschließenden Stichwahl durch die Parteibasis verlor er, wenn auch nur knapp. Offenbar nahmen dem 42-Jährigen viele Mitglieder übel, dass er im Juli als Finanzminister zurückgetreten war, was in der Kettenreaktion, die zum Rücktritt Boris Johnsons als Premier führte, der entscheidende Schritt war. Im parteiinternen Ringen um dessen Nachfolge warnte Sunak vor den Plänen seiner Rivalin Truss: Deren Steuerreform könnte schlimme Folgen auf den Finanzmärkten haben. Da hat ihm die Geschichte recht gegeben, vielleicht nun ein weiteres Argument für ihn.
Boris Johnson: Ist es verrückt, dass der erst im Sommer von seiner Partei gestürzte Premier nun vor einem Comeback stehen könnte? Nicht verrückt genug für die Politik in Großbritannien. Der 58-Jährige scheint das in Erwägung zu ziehen, und seine Chancen wären nicht die schlechtesten. Der Mann, der es mit der Brexit-Kampagne in seinem Land an die Spitze schaffte, ist der Favorit der Parteibasis - trotz all der Lügen und Skandale, die ihn am Ende das Amt kosteten. Johnson, so das Argument, sei der einzige der Kandidaten, dem eine Mehrheit von Britinnen und Briten in einer Wahl ihre Stimme gegeben hat. Offenbar drängen ihn nun viele Parteifreunde, erneut anzutreten; andere warnen, das könnte die Partei zerreißen.
Penny Mordaunt: Die Brexit-Befürworterin hatte bereits diverse Posten im Kabinett inne, unter Johnson war sie ein paar Monate sogar Verteidigungsministerin. Aktuell sitzt sie dort als "Leader of the House". Mordaunt, die eigentlich den Vornamen Penelope trägt, war mit Sunak und Truss als letzte um Johnsons Nachfolge im Rennen, kam dann aber knapp nicht in die Stichwahl. Zuletzt verteidigte sie die Regierung von Liz Truss. Am Donnerstagabend berichteten Journalisten in London, Mordaunt sondiere in der Partei, ob sie noch einmal antreten solle oder nicht.
Wie sehen die Umfragen aus?
Eine Umfrage vor einigen Tagen zeigte unter den Parteimitgliedern eine Mehrheit für Johnson. Wettbüros sehen dagegen Sunak als Favoriten. Der Sender ITV veröffentlichte am Donnerstag eine für die Konservativen wenig erfreuliche Erhebung: "Wer wäre der beste Premierminister?", fragten die Demoskopen. Jeder der zur Auswahl stehenden Tory-Kandidaten ist bei den Wählerinnen und Wählern deutlich unbeliebter als Keir Starmer von der oppositionellen Labour Party. In Umfragen liegt Labour zum Teil 39 Prozentpunkte vor den Tories - ein größerer Abstand zwischen den beiden großen Parteien ist nie gemessen worden. Aus Angst vor einer krachenden Niederlage werden die Konservativen Neuwahlen also tunlichst vermeiden.
Allerdings: Wer weiß schon, wie sich die Dinge entwickeln, dieser Tage in Großbritannien?