Prantls Blick:Oh mei, CSU

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Bundesinnenminister Horst Seehofer im Gespräch mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. (Foto: dpa)

Die CSU verwandelt sich in eine anti-europäische, kleinbayerische Partei - eine Partei, vor der sie ihre Wähler immer gewarnt hat. Warum sie jetzt einreißt, was sie jahrzehntelang aufgebaut hat.

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"Erst kommt Bayern, dann kommt nochmal Bayern, dann kommt ein großer Mistwagen; und dann erst kommt der Rest der Republik". Wenn der "Stumpen-Franz", der ein gutmütiger Grantler in meiner oberpfälzischen Heimat war, im "Gasthaus zum Bären" so daherredete - natürlich nicht auf hochdeutsch, sondern in kehligem hochoberpfälzisch -, dann war er entweder saugut aufgelegt oder sauschlecht.

Die Weisheiten des "Stumpen-Franz"

Bei der CSU ist das auch so ähnlich. Wenn sie sich so aufführt wie derzeit, könnte das ein Ausdruck von behaglicher Kraftprotzerei sein, Emanation eines sauguten Gefühls also. Mir wäre wohler, es wäre so; dann wäre die CSU kalkulierbar. Wenn es der CSU aber sauschlecht geht, wenn ihr Selbstbewusstsein nur noch mühsame Schauspielerei, also maskierter Verdruss ist und mit Furor getarnte Verzweiflung, dann wird es gefährlich; dann, so würde der Stumpen-Franz da sagen, reißt sie "mit dem Oasch" ein, was sie in Jahrzehnten aufgebaut hat.

Die europäischen Sterne im Straßengraben bei Freilassing

Genau das passiert derzeit. Die CSU reißt das Bündnis mit der CDU ein; sie reißt Merkel vom Kanzlerstuhl; sie reißt ihre Beziehungen zur Europäischen Union kaputt; sie zerreißt sich selbst und ihre eigene Geschichte. Eine kleingeistige, nationalistische Partei wollte die CSU nie sein, jedenfalls nicht die Strauß-CSU; jetzt wird sie eine. Aus Trotz gegen Merkel und aus Zorn über die Flüchtlingspolitik denkt und agiert sie so eingekastelt wie Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen. Sie wirft die europäischen Sterne, die seit Franz Josef Strauß zum bayerischen Weiß-Blau gehörten, in den Straßengraben bei Freilassing, an der bayerisch-österreichischen Grenze.

Gegen populistisch dargebotene Politik wäre ja nichts zu sagen; jede erfolgreiche Politik muss sich populär und populistisch präsentieren können. Aber die CSU, so wie sie jetzt agiert, präsentiert sich nicht populistisch; sie ist es. Sie internalisiert ihre Attitüde. Sie macht, was bisher gelegentlich krachende Koketterie war, zum Kern ihrer Politik. Die CSU wird zu einer Partei, vor der sie ihre Wähler immer gewarnt hat.

Bayern zuerst - und was daraus wird

Um zu verstehen, was da Grausliges passiert, muss man zurück in die Geschichte gehen, zurück bis 1946. Aus diesem Jahr stammt das Motto "Bayern zuerst" - das Motto also, das die CSU jetzt trumpisiert und pervertiert. Das Motto "Bayern zuerst" hat ein Sozialdemokrat erfunden und es gehört zu einer besonderen geschichtlichen Situation: Der Sozialdemokrat war Wilhelm Hoegner; er war der erste bayerische Ministerpräsident nach dem Krieg; und er blieb bis heute der einzige Sozialdemokrat in diesem Amt. Das war und ist unter anderem deswegen so, weil die CSU sich sein Motto "Bayern zuerst" geschickt und auf traditionspachtende Weise einverleibte.

Bayern zuerst: Wilhelm Hoegner postulierte das Motto in einer Zeit, als das Schicksal Deutschlands noch in den Sternen stand und an ein Europa noch nicht zu denken war. Die bayerische Staatlichkeit hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, es war 1946, soeben wieder konstituiert, aber eine deutsche Staatlichkeit war noch nicht in Sicht. Als die verfassunggebende bayerische Landesversammlung zusammentrat, ließ Hoegner 1946 die Große Aula der Universität in München mit weiß-blauen Fahnen schmücken, was ein aufsehenerregendes Ereignis war; "Deutschland" erwähnte er mit keinem einzigen Wort; seine Lust auf Souveränität war gewaltig.

Bayern zuerst: Die CSU, die seit dem Rücktritt Hoegners in Bayern ununterbrochen an der Macht ist, hat sich dieser Hoegnerschen Lust mit Lust angenommen. Sie hat dieses Motto auch dann noch potenziert, dekliniert, ziseliert, poliert und vor allem folklorisiert, als die Bundesrepublik sich schon längst etabliert hatte, als Europa sich entwickelte und als Bayern ein normales, aber eben doch irgendwie unnormales deutsches Bundesland geworden war - unnormal unter anderem deswegen, weil die CSU das Bayerische immer besonders weit heraushängen ließ; weiter als etwa die Schwaben das Schwäbische oder die Hessen das Hessische. Das wirkte immer irgendwie sympathisch, weil man in anderen Teilen Deutschlands das Gefühl hatte, man sei in Urlaub, wenn man die Bayern hörte. Das Spielerische, das das "Bayern zuerst" hatte, geht jetzt verloren und geht über in etwas Stures, Trauriges und Verbissenes.

Ein seltsames Paar waren CDU und CSU freilich auch in besseren Tagen als heute. Sie nannten und nennen sich Schwesterparteien. Aber zwei Schwestern sind einem bei dieser Politkombination noch nie eingefallen; eher schon klassische Männerpaare, zu deren Zauber und Fluch es gehört, dass man sie sich nur zu zweit und in vitalisierender Rivalität denken kann: Denkt man an Laurel, denkt man an Hardy. Tritt einem Max vor Augen, ist auch Moritz schon da. Darin bestand das Reizvolle und Erfolgreiche dieser Parteiengemeinschaft. Die Geschichte dieses Reizes, der oft polit-folkloristischer Art war, zieht sich durch die Geschichte der Republik: Adenauer, Kohl und Merkel auf der einen Seite, Strauß, Stoiber & Seehofer auf der anderen.

Weiter rechts, mehr in der Mitte

Attacken der CSU gegen die CDU sind nicht neu. Die Angriffe des CSU-Chefs Strauß gegen den CDU-Chef Kohl, dem er, bevor dieser dann für 16 Jahre Kanzler wurde, in wütend-sarkastischer Rede jede Eignung für die Kanzlerschaft absprach, sind legendär. Diese Angriffe endeten auch nicht, als Kohl Kanzler war. 1986, da war der Pfälzer schon seit vier Jahren Kanzler, giftete der Bayer über Kohls Regierungszentrale: "Auf der Ölspur der eigenen Dummheit fahren die da Karussell." Anlass für den CSU-Zorn damals waren Erfolge der "Republikaner", die freilich nur bei ein paar Prozent lagen, weit entfernt von denen der heutigen AfD. Deswegen kündigte Strauß damals an, mit einem eigenen Programm in den Bundestagswahlkampf ziehen zu wollen; die CSU sollte weiter rechts, die CDU mehr in der Mitte agieren.

Nichts Neues also? Doch. Neu ist die nicht mehr von Ironie oder Spott ummantelte Schärfe der Angriffe. Aus internen Attacken sind externe und frontale geworden, auf offener Bühne; ihnen fehlt auch die rabiate Raffinesse, die nicht nur den Unionisten früher was zu lachen gab. Es gibt nichts mehr zu lachen. Und die gefühlte Einigkeit von CDU und CSU im Grundsätzlichen - die gibt es auch nicht mehr; es war dies eine von Ausnahmen gewürzte Geschlossenheit.

Die CSU verwandelt sich in eine anti-europäische, kleinbayerische Partei. Vielleicht wäre dem "Stumpen-Franz" da das Reden ganz vergangen. Wenn es ganz schlimm war, stierte er nur noch vor sich hin und seufzte: O mei. Bei besonderer Bitterkeit ließ sich das immer wiederholen: O mei, o mei, o mei. Sehr viel mehr mag einem zur CSU auch nicht einfallen.

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