Prantls Blick:Es riecht nach Rechtsbeugung aus politischen Gründen

Die sterblichen Überreste von ertrunkener Syrerin bestattet

Künstler Philipp Ruch bei einer Aktion im Jahr 2015.

(Foto: dpa)

Der Staatsanwalt, der gegen den Leiter des "Zentrums für politische Schönheit" ermittelt, steht der AfD nahe. Eine Spende an die Partei und eine Einstellungsverfügung werfen Fragen auf.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

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Üblicherweise steht in diesem Newsletter, was in der nächsten Woche passieren wird. Heute steht an dieser Stelle, was in der nächsten Woche passieren sollte: In der nächsten Woche sollte in Gera der Staatsanwalt abgezogen werden, der seit 16 Monaten gegen den Leiter der Künstlerinitiative "Zentrum für politische Schönheit" wegen "Bildung krimineller Vereinigungen" ermittelt. Man kann von der Aktionskunst dieser Gruppe halten was man mag; sie macht, unter anderem, spektakuläre Aktionen gegen den Neonazi Björn Höcke, der in Thüringen Chef der AfD-Landtagsfraktion ist; sie macht Kunst mit aktivistischen Mitteln. Die Aktionen und ihre Mittel müssen einem nicht gefallen. Die Künstlergruppe aber als Vereinigung zur Begehung von Straftaten zu betrachten - dazu gehört entweder ein geringes Maß an Rechtskenntnis oder aber ein großes Maß an Sympathie für die AfD.

Der Staatsanwalt als AfD-Spender

Beim ermittelnden Staatsanwalt ist offenbar letzteres der Fall. Ihm sollte schleunigst ein anderes Aufgabengebiet zugeteilt werden. Und die Staatanwaltschaft Gera sollte das Ermittlungsverfahren und die damit verbundenen Observationen gegen die Künstlergruppe umgehend einstellen. Man fragt sich, warum die Behördenleitung und der Generalstaatsanwalt dem merkwürdigen Ermittlungstreiben des Staatsanwalts Martin Zschächner so lange billigend zugeschaut hat. Der Mann ist befangen; er steht der AfD nahe; er hat, wie die Kollegen von Zeit-Online recherchiert haben, dieser Partei Geld gespendet; einen kleinen Betrag von 30 Euro zwar nur; aber Befangenheit beginnt nicht erst bei einem Monatsgehalt.

Die Spende ist es freilich nicht allein, die misstrauisch macht. Der Süddeutschen Zeitung liegt eine Einstellungsverfügung vor, mit der Staatsanwalt Zschächner eine Anzeige gegen einen AfD-Politiker wegen Volksverhetzung abgewimmelt hat. Das Verfahren wurde am 28.8.2017 eingestellt - Aktenzeichen 171 Js 30399/17. Zschächner schreibt in dieser Einstellungsverfügung, die Äußerung, "Afros" seien nicht "wie wir", sondern "Urmenschen (, die) in die Zivilisation hineingezwungen worden" seien, sei "weder beschimpfend noch böswillig verächtlich machend", sondern eine wertende Äußerung zur menschlichen Kultur- und Zivilisationsgeschichte, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Ebenso verhalte es sich mit der Äußerung des Beschuldigten, dass deutsche Frauen, die mit Arabern schlafen, "Selbstmörder" seien. Und wenn der Beschuldigte das "Großdeutsche Reich hochleben" lasse, sei nicht erkennbar, "was er damit meint". Schließlich sei der Satz "Es beginnt die Übernahme durch den Islam. Deutschland stirbt" eine "harmlose Äußerung, die auf die unbestreitbar vorhandene Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Bezug nimmt". Das zeigt, wes Geistes Staatsanwalt hier am Werke ist.

Soll man lachen, weinen oder schreien?

Dieser Mann also führt gegen AfD-kritische Aktionskünstler ein Verfahren wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung". Man weiß nicht, ob man lachen, weinen oder schreien soll: Dieser Staatsanwalt hat das Ermittlungsverfahren eingeleitet wenige Tage, nachdem Höcke in einer Rede gesagt hatte, die Künstlergruppe sei keine Künstlergruppe, sondern "eine kriminelle, ja eine terroristische Vereinigung". Das war am 25. November 2017. Postwendend, am 29. November nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Es entsteht so der Eindruck, dass sich die Staatsanwaltschaft Gera in Gestalt des Staatsanwalts Zschächer zu Höckes Handlanger macht. Die Ermittlungen laufen bis heute - sie dienen offenbar dazu, den Philosophen Philipp Ruch, den Leiter der Künstlergruppe, zu kriminalisieren.

Was wird der Künstlergruppe vorgeworfen? Sie hat Ende November 2017 in der Nähe des Wohnhauses von Björn Höcke im thüringischen Bornhagen einen kleinen Nachbau, eine Attrappe des Berliner Holocaust-Mahnmals aufgestellt, um so Höckes Rede vom "Denkmal der Schande" zu kontern - so hatte Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal bezeichnet und gegen die Gedächtnispolitik der Bundesrepublik agitiert (siehe dazu und zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Alex Rühle, "Kunst, Spaß oder Terror").

Darüber hinaus kündigten die Aktivisten eine "Überwachung" von Höcke an, erklärten, an dessen Wohnort laufe die "aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland"; und reklamierten großspurig für sich, sie hätten einen "zivilen Verfassungsschutz" gebildet. In einem Video zeigten sich die Aktivisten in Aktion - in Kostümen und mit Überwachungsspielzeug. Die von Höcke angestrengten zivilrechtlichen Klagen gegen die Aktion scheiterten an der Kunstfreiheit, ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mühlhausen/Thüringen wegen versuchter Nötigung des Politikers Höcke wurde eingestellt. Aber die Staatsanwaltschaft in Gera ermittelte ungerührt weiter wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch - und tut das bis heute.

Künstler, Rocker, Drogendealer

Mit dem Strafparagrafen 129 wird üblicherweise gegen Rockerbanden und Drogenkartelle ermittelt. Solche Ermittlungen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung setzen voraus, dass besonders schwere Straftaten begangen oder geplant werden - Mord, Totschlag, Raub, Vergewaltigung, Drogenhandel. Sie ermöglichen einen intensiven Zugriff auf die Verdächtigen. Jürgen Möthrath, der Präsident des Deutschen Strafverteidigerverbands, erklärt, es gebe "kaum eine Strafvorschrift, die weitergehende Rechte einräumt. Die Telefone der Betroffenen können überwacht werden und es ist möglich, sie zu observieren." Ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hat Folgen: Philipp Ruch, der Leiter der Künstlergruppe, war Anfang März eingeladen, auf einer Tagung der Bundeszentrale für Politische Bildung zu sprechen. Auf Anweisung des Bundesinnenministeriums, so hieß es, musste er wieder ausgeladen werden, weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren laufe.

Der Fall Zschächner in Gera erinnert an den des AfD-Politikers Jens Maier, der als Richter am Landgericht Dresden im Mai 2016 dem Dresdner Politologen Steffen Kailitz auf Antrag der NPD kritische Aussagen über die rechtsradikale Partei verbot; Kailitz war Gutachter im Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht gewesen. Heute sitzt Richter Maier für die AfD im Bundestag. Der Fall aus Gera erinnert auch an den des Mannheimer Richters Rainer Orlet, der in den neunziger Jahren ein verständnisvolles Urteil gegen den damaligen NPD-Vorsitzenden und Holocaust-Leugner Günter Deckert schrieb. Orlet entging damals der Richteranklage vor dem Bundesverfassungsgericht dadurch, dass er in den Ruhestand floh.

Worüber man sich aufregen muss

Das Ermittlungsverfahren in Gera läuft und läuft und läuft. Man fragt sich, was es da noch zu ermitteln geben soll. Es geht offenbar darum, einen Verdacht schwelen zu lassen - und die Künstlergruppe überwachen zu können, die immer wieder mit grenzwertigen Inszenierungen aufgefallen ist. Im Juni 2015 trat die Gruppe mit einer Aktion an die Öffentlichkeit, die auf die Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik hinweisen wollte. Für die Aktion "Die Toten kommen" wurden an den europäischen Außengrenzen verstorbene Flüchtlinge exhumiert und mit dem Einverständnis ihrer Familien nach Berlin überführt und dort beigesetzt, unter anderem eine im Mittelmeer mit ihrem Kind ertrunkene Syrerin.

Man kann eine solche Aktion für grenzwertig und geschmacklos halten; kriminell ist sie nicht. Sie tut das, was zur Kunst gehört: Sie schockiert, sie regt auf, sie zeigt auf die Widersprüche der Gesellschaft. Man kann, man darf, man soll sich darüber aufregen. Über eine Staatsanwaltschaft, die Aufreger zu Schwerverbrechern erklärt, muss man sich aufregen. Was die Staatsanwaltschaft Gera macht, ist nicht Kunst, sondern riecht nach Rechtsbeugung aus politischen Gründen.

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