Demokratie:Polen hat die Wahl

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Ein Anhänger der Opposition zeigt bei einer Demo in Warschau, wen er in der Regierung sehen möchte: Donald Tusk und seine Bürgerplattform PO. (Foto: Rafal Oleksiewicz/AP)

30 Millionen Menschen können bei der polnischen Parlamentswahl am Sonntag über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Welche Parteien bieten der nationalistischen PiS die Stirn - und wie stehen ihre Chancen?

Von Viktoria Großmann, Warschau

In den Tagen vor der polnischen Parlamentswahl gab es sogar Geschenke für die Nachbarn. Zumindest für jene deutschen und tschechischen Autofahrer, die nah an der polnischen Grenze wohnen und zu einer Orlen-Tankstelle fahren können. Der teilstaatliche Mineralölkonzern, dessen Vorstandsvorsitzender Mitglied der regierenden PiS-Partei ist, hatte zuletzt die Kraftstoffpreise auf etwa sechs Złoty (circa 1,32 Euro) pro Liter gesenkt.

Aus Sicht der Opposition ein bewusster Schachzug der Regierung, um für gute Stimmung unter den polnischen Wählern zu sorgen. Bald aber machten Witze die Runde, dass sich vor allem die tschechischen Nachbarn dafür bedanken. Schließlich mussten selbst Regierungsmitglieder dazu aufrufen, keine Vorräte in Kanistern anzulegen. Denn der Sprit wurde schnell knapp. So ganz ging die Rechnung mit dem Wahlgeschenk nicht auf - drei Tage vor der Wahl verdoppeln sich die Preise wieder.

Steuergelder als Wahlkampfkasse für die PiS

Es klingt wie eine Posse und kennzeichnet doch den gesamten Wahlkampf der Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS. Sie regiert nicht einfach nur seit acht Jahren - sie hat tatsächlich die Macht an sich gerissen, die Justiz zu ihren Gunsten umgeformt, sich Medien gefügig gemacht, Posten in staatlichen Institutionen und Betrieben mit Parteigängern besetzt. Große Teile ihres Wahlkampfes konnte die PiS aus Steuergeld bestreiten. Zunächst gab es im Sommer eine Kampagne, um neue Sozialleistungen für Familien zu erklären - tatsächlich wurden die "Familienpicknicks" zu Wahlkampfauftritten verschiedener PiS-Politiker.

Zudem werden an diesem Sonntag nicht nur Sejm und Senat neu gewählt. Es wird auch ein Referendum geben. Es beinhaltet vier Fragen, die Migration und Staatsbetriebe betreffen. Um die Menschen über den Inhalt und Zweck des Referendums aufzuklären, darf die PiS wiederum Steuergeld nutzen. Die vier Fragen betreffen Kernthemen des PiS-Wahlkampfes. Vor allem den Umgang mit Flüchtlingen. So wird etwa gefragt, ob die Menschen einer Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU zustimmen. Das ist Bestandteil der EU-Vereinbarung, die von Polen blockiert wird. Mit den Flüchtlingen, so sagt Premierminister Mateusz Morawiecki, kämen Kriminalität und Gewalt. Die PiS wolle Polen davor schützen, nur sie garantiere Sicherheit.

Wer Frauen in der polnischen Politik sucht, findet sie am ehesten in der Partei Neue Linke. Joanna Scheuring-Wielgus (re.) konnte in der TV-Debatte vor der Wahl punkten. (Foto: Adam Warzawa/DPA)

Doch ein paar Gesetze gelten noch. So wurde am Montagabend Oppositionsführer Donald Tusk zu einer Fernsehdebatte ins Staatsfernsehen TV Polska eingeladen. Dort stellte er sich gemeinsam mit Morawiecki und Spitzenkandidaten dreier weiterer Parteien einer Wahlkampfdiskussion. Tusk hatte eigentlich den PiS-Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyński zu einem Duell herausgefordert, doch der verweigerte sich. Morawiecki konnte sich nicht verweigern, denn es ist noch immer die Pflicht des staatlichen Senders TVP, alle Kandidaten einmal zu einer Debatte einzuladen.

(Foto: SZ-Grafik)

Tusk war als Erster dran - und verhaspelte sich sofort, danach ließ er sich auch noch vom Gong überrumpeln, der ihm anzeigte, dass er noch zehn Sekunden Redezeit habe. Tusk hielt ihn für ein Stoppsignal und hielt artig mitten im Satz inne. Diesen Ausschnitt zeigte TVP anschließend in den Nachrichten. Tusk hatte sich gleich zu Beginn direkt ans Publikum gewendet und sich dafür bedankt, dass er nach acht Jahren das erste Mal wieder die Gelegenheit habe, persönlich selbst bei TVP etwas zu sagen.

Der ewige Zweikampf ermüdet viele Menschen

Tusk war zweimal Ministerpräsident, danach EU-Ratspräsident und ist seit Solidarność-Zeiten in der polnischen Politik aktiv. 2001 gründete er seine Partei Platforma Obywatelska (Bürgerplattform), deren Vorsitzender er ist. Doch offensichtlich gehen die ständigen Angriffe und Hassreden auch an einem Profi wie ihm nicht spurlos vorbei. Kaczyński nannte Tusk schlicht "das personifizierte Böse", die PiS-Kampagne bezeichnet ihn als größtes Sicherheitsrisiko für Polen, da er praktisch zugleich russischer Agent und Freund der Deutschen sei, deren Einfluss er Polen auszuliefern gedenke.

Zimperlich war allerdings seine Partei zuletzt in ihrer Rhetorik auch nicht. Die Bürgerplattform PO tritt gemeinsam mit kleineren Listenpartnern, darunter den Grünen und der Bauernpartei Agrounia, als Bürgerkoalition, kurz KO, an. Sie bildet damit ein sehr breites politisches Spektrum von linksliberal bis konservativ ab, die PO selbst steht inhaltlich eher der CDU nahe, sitzt mit ihr in Straßburg in der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Die KO plakatierte etwa das Gesicht Kaczyńskis, versehen mit den Worten: Ich bin eine Gefahr - für deine Familie, für deine Kinder, für deine Gesundheit, für dein Geld, für Polen, für Frauen, für dich.

Szymon Hołownia hat eine Partei gegründet, die sowohl für christliche Werte als auch für Klimaschutz steht. (Foto: Radek Pietruszka/dpa)

Dieser ewige Zweikampf zwischen den großen Lagern KO und PiS und zwischen Tusk und Kaczyński, die seit der Wende die Politik des Landes mitbestimmen, ermüdet viele Menschen. Andere Oppositionsparteien sehen darin ihre Chance. Etwa der sogenannte Dritte Weg, ein Parteienbündnis aus der christlich-grünen Partei Polska 2050 und der konservativen Bauernpartei PSL. Deren Spitzenkandidat, der frühere Entertainer und Fernsehmoderator Szymon Hołownia, sagte im Wahlkampf: "Die Hälfte des Erfolges der PiS ist, dass wir nur lamentieren und Kaczyński zu einem übermächtigen Gegner aufgebaut haben."

Die PiS könnte gewinnen, aber die Opposition trotzdem eine Mehrheit zustande bringen

Rechts und links von KO und Drittem Weg stehen außerdem das Bündnis Nowa Lewica (Neue Linke) und die rechtsextreme Konfederacja zur Wahl. Die Konfederacja ist vor allem bei jungen Männern beliebt, sie will Steuern abschaffen und die EU verlassen, attackiert PiS und KO gleichermaßen - dennoch befürchten viele, dass sich die Konfederacja auf eine Koalition mit der PiS einlassen könnte und damit die Regierung noch viel weiter nach rechts rückt. Oder dass die Konfederacja eine Minderheitsregierung der PiS toleriert. Auch die Opposition könnte in die Lage kommen, eine Duldung durch die Konfederacja zu benötigen. Offiziell schließen vor der Wahl alle Parteien eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus.

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Etwa 30 Millionen Polinnen und Polen können am Sonntag an den Wahlen zu Sejm und Senat und am Referendum teilnehmen. Erst am Dienstag soll das Endergebnis feststehen. Allen Umfragen zufolge wird es knapp. Zwar führt die PiS, allerdings mit deutlich weniger Zustimmung als noch 2019, als sie mit ihren kleinen Listenpartnern die Mehrheit erreichte. Dicht dahinter liegt in Umfragen die Bürgerkoalition. Diese hat bereits angekündigt, mit Nowa Lewica und Drittem Weg koalieren zu wollen. Gemeinsam kommen die drei Parteien in den Umfragen auf eine Mehrheit. Alle drei wollen das strikte Abtreibungsgesetz, das die PiS eingeführt hat, zumindest liberalisieren. Das wünschen sich laut Umfragen 70 bis 80 Prozent der Menschen in Polen. Zudem wollen sie den Streit mit der EU beenden und die Rechtsstaatlichkeit wieder herstellen.

"Es gibt eine Wechselstimmung", sagt der Politikwissenschaftler Marcin Antosiewicz von der Vistula-Unversität in Warschau. "Die Opposition ist sehr stark und konnte viele Menschen mobilisieren." Die PiS, glaubt er, wird die meisten Stimmen gewinnen - aber die Opposition auf eine Mehrheit kommen. Und dann? "Dann wird es richtig spannend."

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