Wahl in Polen:"Ich wünsche mir einen politischen Umschwung"

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Der Krakauer Bürgermeister Jacek Majchrowski pflegt Partnerschaften zu 38 Städten, besonders die Beziehungen zu Deutschland und Österreich liegen ihm am Herzen. (Foto: Boguslaw Swierzowski/Archiv der Stadt Krakau)

Am Sonntag wählt Polen ein neues Parlament. Warum sich Krakaus Bürgermeister Jacek Majchrowski einen neuen Kurs für sein Land erhofft, der sich von dem der regierenden PiS-Partei unterscheidet - und was das für das Verhältnis zu Deutschland bedeuten würde.

Interview von Viktoria Großmann

Seit 21 Jahren ist Jacek Majchrowski Bürgermeister der Stadt Krakau, Stadtpräsident, wie man hier sagt. Mehrmals gewann er, unterstützt von linken und konservativen Parteien, gegen Kandidaten der Regierungspartei PiS, unter anderem gegen den heutigen Präsidenten Andrzej Duda. Im Juli erhielt Majchrowski das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um die polnisch-deutsche Freundschaft. Der 76-Jährige begrüßt mit Handkuss in seinem Amtszimmer im Großpolnischen Palast, einem Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert.

SZ: Herr Majchrowski, was erwarten Sie von der Wahl an diesem Sonntag?

Jacek Majchrowski: Nun, nachdem, was ich in der Fernsehdebatte mit Donald Tusk, Mateusz Morawiecki und den anderen Spitzenkandidaten am Montag gehört habe, werden wir nach der Wahl in einem Land leben, in dem Milch und Honig fließen. Aber im Ernst: Ich wünsche mir einen politischen Umschwung und einen neuen Kurs, der sich sehr von dem der regierenden Partei unterscheidet.

Was steht aus Ihrer Sicht auf dem Spiel?

Als Bürgermeister sehe ich die Gefahr, dass die regionalen und lokalen Regierungen unter der PiS zu Fassadeninstitutionen verkommen. Bereits in den vergangenen acht Jahren fand eine intensive Zentralisierung statt. Die Selbstverwaltung spielt eine immer geringere Rolle.

Was bedeutet das in der Praxis?

Wir haben zwei Probleme: die Zentralisierung und den Populismus. Aus populistischen Gründen wurden Einkommen- und Gewerbesteuersätze stark gesenkt. Die Einnahmen aus diesen Steuern werden aus dem Staatshaushalt an die Kommunen überwiesen, von denen diese ihre Ausgaben bestreiten und über die sie selbständig verfügen können. Durch diese Reform, die natürlich den Bürgern und Unternehmen zugute kommt, sind unsere Einnahmen um 20 Prozent gesunken. Das bedeutet eine Milliarde Złoty (etwa 225 Millionen Euro, Anm d. Red.) weniger im Haushalt der Stadt. Zudem fehlen Finanzmittel der EU, die blockiert sind wegen der polnischen Justizreform. Wir sind jetzt viel stärker von der Regierung in Warschau abhängig und müssen dort um Geld für konkrete Dinge bitten.

Wofür genau fehlt Geld?

Die Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU fehlen in Krakau konkret beim Ausbau von Straßenbahnlinien. Aber wir hätten auch Geld aus diesem Fonds für die Museen verwendet. Nicht für den technischen Unterhalt, sondern etwa für Sonderausstellungen. Auch für soziale Einrichtungen, etwa Pflegeheime, waren die Mittel vorgesehen.

Hätten Sie weniger Probleme, wenn Sie der PiS-Partei angehören würden?

Nun, das Problem mit der Steuerreform hat jeder Bürgermeister. Aber der Zugang zu Mitteln, welche die Regierung verteilt, wäre als Parteimitglied viel einfacher. Ich sehe das an kleineren Orten. Die bekommen so viel Geld zugeteilt, dass sie gar nicht wissen, wohin damit. Ich sehe darin eine Regierungspolitik, die sich grundsätzlich gegen große Städte richtet - die sind der PiS-Regierung viel zu selbständig.

Warum tut die Regierung das?

Sie versucht, ihre Wähler zu erreichen. Und die leben vor allem im ländlichen Raum, in Kleinstädten und Dörfern. Zudem ist die Verbindung zwischen der PiS und der Kirche sehr stark - auch das macht sich vor allem in kleineren Orten bemerkbar. Geistliche haben dort einen großen Einfluss auf die Menschen und auch auf ihr Wahlverhalten.

Krakau ist einer der wichtigsten Sitze der katholischen Kirche Polens, hier begann die Karriere des späteren Papst Johannes Paul II.

Der hiesige Erzbischof gilt als Funktionär der PiS. Er hat sich in der Stadtbevölkerung nicht beliebt gemacht. Zudem lassen sich die Leute hier von der Kirche nicht sagen, wie sie leben oder wählen sollen. Sie haben andere Erfahrungen, eine andere Bildung, sind selbstbewusster.

Die PiS hat im Wahlkampf Deutschland zu einem Feindbild aufgebaut. Dem Oppositionsführer Donald Tusk wirft sie vor, Polen deutschem Einfluss überlassen zu wollen. Hier in Krakau pflegen Sie Beziehungen zu Frankfurt am Main, Leipzig und Nürnberg. Wie nehmen Sie die Beziehungen zwischen unseren Ländern wahr?

Ich habe mich nie davon beeinflussen lassen, wie die Beziehungen zwischen den Staatsregierungen sind. Wir hatten bis zum russischen Überfall auf die Ukraine auch aktive Partnerschaften mit Moskau und Sankt Petersburg. Auf dieser Ebene handelt es sich um persönlichen, praktischen Austausch, und der funktioniert mit den deutschen Städten von jeher sehr gut - auch jetzt.

Können Sie ein Beispiel für die Zusammenarbeit geben?

Das betrifft zum Beispiel die gemeinsame Ukrainehilfe. Mit den deutschen Städten gibt es zudem vor allem einen kulturellen Austausch und Treffen von Schülern, die sich gegenseitig besuchen. Das erscheint mir sehr wichtig, damit die jungen Leute sehen, dass die Feindbilder, die derzeit von der polnischen Regierung erschaffen werden, nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Man kann trotzdem befreundet sein und gemeinsam an Projekten arbeiten. Zum Beispiel treffen sich die Jugendparlamente aus Krakau und Leipzig - die sprechen allerdings Englisch miteinander.

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Sie befürchten keinen langfristigen Schaden durch diese aggressiven Reden?

Auf der Ebene der Staatsregierung ist der Schaden schon angerichtet. Vor zehn Jahren waren wir ein Vorbild für die Integration in die EU und wir hatten gute Beziehungen zu unseren Nachbarn. Polen war ein Musterschüler unter den neuen EU-Ländern. Aber ausgerechnet jetzt, wo wir einen Krieg in der Nachbarschaft haben, haben wir eigentlich mit niemandem mehr gute Beziehungen.

Wie sollten die Deutschen auf die PiS-Rhetorik reagieren?

Einfach ablaufen lassen. Auf diese Art von Beleidigungen muss man wirklich nicht eingehen.

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