Es schien ein unerwarteter Sieg für Polens Opposition zu sein - und für den umkämpften unabhängigen Fernsehsender TVN24. Eigentlich sollte das Parlament nach dem Willen der Regierungspartei PiS über ein restriktives Mediengesetz abstimmen, das die US-Eigner von TVN24 zum Verkauf zwingen soll. Doch zuvor beantragte der zur Opposition zählende Anführer der Bauernpartei Wladysław Kosiniak-Kamysz, die Parlamentssitzung zu beenden und erst am 2. September um zehn Uhr morgens wiederaufzunehmen.
Zur Überraschung aller - und weil zwei PiS-Abgeordnete die Abstimmung verpassten - wurde der Antrag am Mittwochabend um 17.28 Uhr mit zwei Stimmen Mehrheit angenommen. "Ganz Polen hat gesehen, wie der Antrag auf Verschiebung angenommen wurde - wir haben das TVN-Gesetz auf dieser Etappe gestoppt" , freute sich der Oppositionsabgeordnete Michał Szczerba, dass das gegen Polens größten unabhängigen Fernsehsender gerichtete Mediengesetz zumindest an diesem Tag nicht angenommen werde.
Medien in Polen:Unabhängige unter Druck
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Doch die Opposition hatte sich zu früh gefreut. Nach zweistündiger Pause eröffnete die von der PiS gestellte Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek die Sitzung erneut. Sie habe angeblich nicht vermerkt, auf welchen Tag die Sitzung verschoben worden sei. Zuvor hatte zudem ein Vertreter der vier Abgeordnete zählenden Gruppe um den Ex-Rocksänger Paweł Kukiz nach offenbar intensiver Bearbeitung durch die PiS verkündet, er und seine Kollegen hätten sich, leider, bei ihrem "Ja" zur Sitzungsverschiebung geirrt.
30 Regierungsabgeordnete sammelten einen Antrag auf Wiederholung der verlorenen Abstimmung. Dieser wurde angenommen. Zwei Stunden später war nach tumultartigen Szenen und Rufen wie "Betrüger!" und "Schande!" auch das Mediengesetz mit 228 Ja-Stimmen bei 216 Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen beschlossen.
"Klare Rechtlosigkeit auf höchster Ebene"
Witek behauptete, fünf Rechtsexperten hätten die Wiederaufnahme gebilligt - bis jetzt sind diese angeblichen Stellungnahmen nicht aufgetaucht. Tatsächlich erlaubt Artikel 189 des Sejm-Reglements nur dann, eine Abstimmung wiederaufzunehmen, wenn "das Ergebnis der Abstimmung begründete Zweifel hervorruft". Doch "man kann eine Abstimmung nicht wiederaufnehmen, nur weil ein paar Abgeordnete behaupten, dass sie ihre Stimmabgabe ändern wollen", kommentierte der Rechtsprofessor Mikołaj Małecki.
Der Krakauer Strafrechtler nannte das Vorgehen eine kriminelle Überschreitung von Amtsvollmachten und "klare Rechtlosigkeit auf höchster Ebene" und verwies auf Artikel 231 des Strafgesetzbuches. Dieser sieht Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis vor. Die nach der rechtswidrigen Wiederaufnahme der Sitzung angenommenen Gesetze - so das Mediengesetz - seien verfassungswidrig, so Małecki. Der Oppositionspolitiker Szymon Hołownia nannte das Vorgehen der Parlamentspräsidentin zur wiederholten Abstimmung einen "Staatsstreich". Ex-Außenminister Radosław Sikorski sagte, später - nach einem möglichen Machtverlust der PiS - würden sich einmal eine unabhängige Staatsanwaltschaft und das Staatstribunal zur Verfolgung höchster Amtsträger mit den Ereignissen im Sejm beschäftigen.