Koalition in Warschau:Umstrittenes Rundfunkgesetz beschlossen

Jarosław Gowin

Am Dienstagabend wurde Jarosław Gowin als Vize-Ministerpräsident entlassen, am Mittwoch trat seine Partei aus der Regierung aus.

(Foto: Hubert Mathis/picture alliance/dpa)

Polens Regierung zerbricht: Die Partei "Verständigung" verlässt die Koalition mit der PiS. Sie will das Vorgehen gegen einen kritischen Fernsehsender nicht mittragen. Doch Regierungschef Jarosław Kaczyński bringt im Parlament trotzdem eine Mehrheit zustande.

Von Florian Hassel, Belgrad

Polens seit Ende 2015 bestehende Regierungskoalition ist am Ende. Nach Konflikten um Steuererhöhungen und ein Gesetz, das den bisher unabhängigen Fernsehsender TVN unter Kontrolle bringen soll, trat der bisherige Vize-Ministerpräsident Jarosław Gowin mit seiner Partei "Verständigung" am Mittwoch offiziell aus der Regierungskoalition aus. Die neun Abgeordneten sicherten der von Jarosław Kaczyński und seiner Partei PiS geführten Koalition eine knappe Mehrheit von 232 Stimmen im Parlament, dem 460 Abgeordnete angehören. Möglich ist aber, dass Kaczyński mit Überläufern aus dem bisherigen Gowin-Lager und anderen bisherigen Oppositionsabgeordneten eine neue Regierungsmehrheit bildet.

Gowin und seine Mitstreiter trugen seit dem Beginn der Regierung der "Vereinigten Rechten" Ende 2015 etliche Gesetze zum Abbau des Rechtsstaates in Polen mit. 2020 kam es zur Koalitionskrise um Rechtsbrüche bei der Organisation der Präsidentenwahl - Gowin blieb letztlich in der Regierung. Gleichwohl kriselte es in der Koalition: Gowins Ausscheiden galt nur als Frage der Zeit. Zum Bruch kam es nun wegen zweier Themen: Die in Umfragen zurückfallende PiS will ihre Wähler mit einem umfangreichen Paket sozialer Wohltaten bei der Stange halten, das auch durch massive Steuererhöhungen für Unternehmer finanziert werden soll. Gowin trat als Wirtschaftsminister und Vizepremier dagegen auf.

Noch wichtiger war indes ein Gesetzentwurf, mit dem Kaczyński den unabhängigen, dem US-Konzern Discovery gehörenden Fernsehsender TVN unter politische Kontrolle bekommen will. TVN ist Polens journalistisch führender Fernsehsender, der etliche Skandale im Regierungslager aufdeckte und von Kaczyński als Bedrohung für seine Chancen auf den Machterhalt angesehen wird. Hochrangige Mitarbeiter der Administration von US-Präsident Joe Biden telefonierten wiederholt mit Gowin - dieser verweigerte dem Gesetz seine Zustimmung. Am späten Mittwochabend wurde das Gesetz im Sejm zunächst angenommen - allerdings muss der von der Opposition kontrollierte Senat noch zustimmen.

Die PiS sucht neue Verbündete

Noch Anfang dieser Woche kritisierte Gowin Steuerpläne der PiS zudem als "radikal sozialistisch". Am Dienstagabend feuerte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Gowin als Vize-Ministerpräsident. Gowin und seine Partei traten daraufhin am Mittwochmorgen aus der Regierungskoalition aus. Fünf Abgeordnete des bisherigen Gowin-Lagers stimmten am Mittwoch gleichwohl mit der PiS. Die PiS verhandelt zudem mit Abgeordneten des Ex-Rocksängers Paweł Kukiz, der rechtsnationalistischen Konföderation und einigen unabhängigen Abgeordneten: Das Kukiz-Lager stellt vier Abgeordnete, die Konföderation elf, dazu kommen mehrere Unabhängige.

Am Samstag - das Ende der Koalition zeichnete sich bereits ab - verkündete Kaczyński, er könne auch ohne Gowins "Verständigung" auf eine Mehrheit von 237 Stimmen zählen. Gowin wiederum sagte am Mittwoch, für ihn biete sich künftig eine Zusammenarbeit mit der polnischen Bauernpartei PSL an. An der Spitze der führenden Oppositionspartei "Bürgerkoalition" (PO) steht Ex-Ministerpräsident Donald Tusk. Gowin gehörte ihr früher selbst an, bevor er ins Kaczyński-Lager wechselte. Die nächste Parlamentswahl steht turnusmäßig im Herbst 2023 an.

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