Polen nach der Wahl:Jetzt kann Donald Tusk regieren

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War schon am Wahlabend zuversichtlich, nun ist es amtlich: Die Opposition mit Donald Tusk hat eine Mehrheit. (Foto: Attila Husejnow/Imago)

Die rechtsnationalistische PiS bleibt zwar stärkste Kraft, doch Oppositionsführer Tusk erreicht mit einem Parteienbündnis eine stabile Mehrheit. Wie bald kommt der Regierungswechsel?

Von Viktoria Großmann, Warschau

Die Opposition in Polen hat die Wahlen gewonnen. Am Dienstagvormittag um halb zehn Uhr waren alle Stimmen ausgezählt. Das amtliche Wahlergebnis bestätigt im Wesentlichen die sogenannten Exit Polls, die Wahlnachbefragungen von Sonntagabend und Montagmorgen.

Am Nachmittag wandte sich Donald Tusk, bislang Oppositionsführer, direkt an Präsident Andrzej Duda: "Ich möchte Sie um eine energische und schnelle Entscheidung bitten", sagt er in einem Video-Statement. "Die Sieger der demokratischen Parteien sind in ständigem Kontakt und bereit, jederzeit die Verantwortung für die Regierung zu übernehmen."

Die regierende PiS-Partei bleibt stärkste Kraft, verliert aber ihre absolute Mehrheit. Drei Oppositionsparteien, die schon vor der Wahl erklärt hatten, zusammenarbeiten zu wollen, kommen gemeinsam auf eine stabile Mehrheit im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus. Die PiS müsste sich einen Koalitionspartner suchen, um weiter regieren zu können. Doch den gibt es nicht.

Zu diesem politischen Wechsel trug offenbar die extrem hohe Wahlbeteiligung bei. Noch nie seit 1989, seitdem Polen wieder ein demokratisches Land ist, gingen so viele Menschen wählen wie am vergangenen Sonntag. Mehr als 74 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, mehr Frauen als Männer gingen zur Wahl und vor allem viel mehr junge Menschen. In der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre betrug die Wahlbeteiligung 69 Prozent - nach nur 46 Prozent vor vier Jahren. In der Hauptstadt Warschau lag die Wahlbeteiligung sogar bei knapp 85 Prozent, wie Bürgermeister Rafał Trzaskowski stolz verkündete.

Eine Analystin spricht vom "aggressivsten und brutalsten" Wahlkampf bisher

Seit 2015 hatte die rechtsnationalistische Partei PiS gemeinsam mit kleineren Listenpartnern als "Vereinigte Rechte" in Polen regiert, zuvor war sie schon einmal zwischen 2005 und 2007 an der Macht gewesen. In acht Jahren Regierungszeit hatte sie die Gewaltenteilung eingeschränkt, Gerichte, staatliche Betriebe, Ämter, Museen politisiert und vor allem auch TV Polska und Polskie Radio, die öffentlich-rechtlichen Sender, zu Partei-Propaganda-Maschinen gemacht. Fast seit Beginn ihrer Amtszeit befand sich die PiS-Regierung in einem Dauerstreit mit der EU, die derzeit circa 100 Milliarden Euro an Fördergeldern zurückhält, weil aus Sicht des Europäischen Gerichtshofes die polnische Justiz nicht mehr unabhängig ist.

"Gewinner in dieser Wahl sind die Demokratie und die EU", sagt am Vormittag die Analystin Karolina Zbytniewska. Dieser Wahlkampf sei der "aggressivste und brutalste" gewesen, den Polen bislang erlebt habe. Der Höhepunkt der hasserfüllten und spalterischen Reden, die in die Politik und den Alltag Einzug gehalten hätten, seitdem die PiS auf der politischen Bildfläche erschien, so sagt sie es. "Es ging eigentlich nur um Gefühle, kaum um Fakten." Von dieser Erfahrung berichtet auch der Linken-Politiker Konrad Gołota, der um einen Senatssitz gekämpft hatte. "Wir hatten vielleicht das beste Wahlprogramm jemals, aber das hat gar niemanden interessiert." Alles, was die Leute im Straßenwahlkampf von ihm wissen wollten: "Sind Sie PiS oder Anti-PiS?"

Die Opposition, das ist vor allem Donald Tusk. Ministerpräsident von 2007 bis 2014, danach EU-Ratspräsident. Gründer und Vorsitzender der Partei Bürgerplattform (PO), die zur Wahl als Bürgerkoalition (KO) angetreten ist - gemeinsam etwa mit den Grünen und der Bauernpartei Agrounia. Zudem kandidierten auf den Oppositionslisten auch einige Parteilose, darunter Bürgerrechtler, die in den Jahren unter der PiS etwa für Frauenrechte oder eine unabhängige Justiz kämpften.

Tusks Partei hat im Sejm 23 Sitze dazugewonnen. Er kann mit dem Mitte-rechts-Bündnis Dritter Weg und dem Linksbündnis Nowa Lewica eine Regierung bilden, alle drei hatten diese Absicht vor der Wahl offen erklärt. Gemeinsam kommen sie auf 248 Sitze. Für eine Mehrheit sind 231 der 460 Sitze im Sejm nötig.

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Von Viktoria Großmann

Wie es nun weitergeht, liegt in den Händen von Präsident Andrzej Duda

Es scheint sich bewährt zu haben, dass die Opposition nicht als ein Bündnis angetreten ist, anders als 2022 in Ungarn. In Polen stellte sie sich stattdessen nach dem Prinzip "gemeinsam, aber getrennt" zur Wahl. Also als einzeln erkennbare Bündnisse, die in ihren Programmen eigene Akzente setzen konnten - gleichzeitig aber erklärten, miteinander regieren zu wollen.

Die PiS hat 41 Sitze verloren, bei der Wahl 2019 hatte sie noch 235 Sitze, also die alleinige Mehrheit gewonnen. Vor der Wahl hatte es Befürchtungen gegeben, dass sich die PiS mit der rechtsextremen Konfederacja zusammentun könnte, auch wenn beide Parteien das immer ausgeschlossen hatten. Doch nun kämen sie gemeinsam nur auf 212 Sitze, das reicht nicht.

Wie es nun weitergeht, liegt in den Händen von Präsident Andrzej Duda, von seinen Gegnern gern als Kugelschreiber der PiS verspottet, er begann seine Karriere bei der PiS und hat sich seit seinem Amtsantritt kaum überparteilich gezeigt. Üblicherweise übergibt der Präsident der stärksten Kraft den Auftrag zur Regierungsbildung. Es wäre eine Sensation, würde sich Duda angesichts der Aussichtslosigkeit der PiS, eine Mehrheit zu finden, direkt an Donald Tusk wenden. Mit dem Antritt der neuen Regierung wird nicht vor Dezember gerechnet.

Die bisherigen Oppositionsparteien gewannen auch die Wahl zum Senat, dort hatten sie bereits eine Mehrheit. Nun aber haben sie diese ganz deutlich ausgebaut, die PiS hat stark verloren und kommt auf nur noch 34 der 100 Senatssitze. Zudem hatten sich viele Wähler geweigert, am von der PiS initiierten Referendum teilzunehmen, das ebenfalls am Sonntag stattfand. Es hatte vier Kernthemen des PiS-Wahlkampfes betroffen, unter anderem den Umgang mit Flüchtlingen. Für eine Gültigkeit hätten 50 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen müssen, es waren aber nur 40 Prozent - diese antworteten allerdings ganz im Sinne der PiS.

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