Polen:War was?

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Der neue Grenzzaun zwischen Polen und Belarus soll vor allem Migranten abhalten. Gegen zwei belarussische Militärhubschrauber konnte er aber wenig ausrichten. (Foto: Michal Dyjuk/AP)

Die polnische Regierung brüstet sich mit dem Schutz der Grenzen. Trotzdem konnten diese Woche zwei Militärhubschrauber aus Belarus ungestört in den polnischen Luftraum eindringen.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es sind bedeutende Kräfte, die die polnische Regierung an der Grenze zu Belarus stationiert hat: Grenzbeamte, Polizisten und Tausende Soldaten mit Nachtsichtgeräten, Drohnen, Radar, Hubschraubern und F-16-Flugzeugen. Zudem soll ein für Hunderte Millionen Euro gebauter Zaun Migranten davon abhalten, über diese Grenze in die EU zu kommen. Nun ist zumindest in der offiziellen Darstellung Warschaus eine weitere Gefahr dazugekommen: mögliche russische und belarussische Aggression.

In der Tat schüren der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin Ängste vor einer Ausweitung des Moskauer Angriffskrieges gegen die Ukraine. Auf einer Sitzung seines Nationalen Sicherheitsrates am 21. Juli etwa warnte Putin unter Mitwirkung seines Auslandsspionagechefs Sergej Narischkin vor angeblichen Absichten Polens, im - früher einmal zu Polen gehörenden - Westen der Ukraine einzumarschieren und diesen zu annektieren.

Mehr noch: Es sei auch allgemein bekannt, dass Polens Führer "von belarussischen Ländern träumen", so Putin. Doch Belarus gehöre zum Unionsstaat mit Russland, ein polnischer Angriff auf Belarus bedeute einen Angriff "gegen die Russische Föderation. Wir werden dies mit all unseren Ressourcen beantworten", so Putin.

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Lukaschenko sekundierte Putin zwei Tage später bei einem Treffen in Sankt Petersburg. Man könne nicht zulassen, dass Polen die westliche Ukraine besetze - und orakelte mit einer Formulierung wie in Sowjetzeiten von Einmärschen in Ungarn oder der Tschechoslowakei: "Belarus und Russland müssen bereit sein, der Bevölkerung in der Westukraine Hilfe zu erweisen." Dann fügte der Diktator hinzu, seit Juli in Belarus stationierte Wagner-Söldner würden angeblich darauf brennen, "nach Westen zu fahren" und auf Warschau oder Rzeszów vorzurücken.

In abgeklärten Zeiten würde eine polnische Regierung derlei ans russische Publikum gerichtete Phantastereien wohl übergehen. Doch in Polen wird im Herbst gewählt. Die um ihre Macht fürchtende Regierung nutzt im Wahlkampf nicht nur die üblichen Feindbilder wie Migranten, Deutschland oder Oppositionsführer Donald Tusk als angeblichen Knecht Berlins. Auch das Säbelrasseln Putins und Lukaschenkos kam ihr gerade recht.

Mit Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Innenminister Mariusz Kamiński und Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak fuhr die gesamte Führung an die Grenze, um einerseits vor der angeblich beispiellosen Gefahr zu warnen und sich gleichzeitig selbst zu rühmen. "Unsere Armee (...) wird die stärkste auf unserem Kontinent und die Grundlage der Verteidigung der gesamten Ostflanke der Nato sein", rühmte sich Kaczyński. Ohne das Wirken der PiS-Regierung "wären die Wagner-Söldner in zwei Stunden in Warschau", so Morawiecki.

In aller Gemütlichkeit kreisten die Helikopter und kehrten dann nach Belarus zurück

Dann kam der 1. August. Im polnischen Grenzgebiet bei Białowieża wunderten sich die Einwohner, als vor acht Uhr in der Früh drei Kilometer von der Grenze entfernt über ihren Köpfen in einigen Hundert Meter Höhe zwei Mi-17-Militärhubschrauber auftauchten - mit belarussischen Kennzeichen. Die Fotografin Eliza Kowalczyk stellte Bilder der in aller Gemütlichkeit kreisenden und ungestört nach Belarus zurückkehrenden Hubschrauber auf ihre Facebook-Seite. Doch die Gazeta Wyborcza bekam beim polnischen Verteidigungsministerium die Auskunft, es sei nichts von belarussischen Militärhubschraubern im polnischen Luftraum bekannt.

Erst am Abend ruderte das Verteidigungsministerium zurück und erklärte, es sei tatsächlich "zur Verletzung des polnischen Luftraums durch zwei belarussische Hubschrauber" gekommen. Dass man zunächst nichts davon gewusst habe, habe daran gelegen, dass die belarussischen Hubschrauber "in sehr geringer Höhe" geflogen seien und so "die Entdeckung durch Radarsysteme erschwert" hätten.

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Die Blamage war da. Das Magazin Newsweek kommentierte süffisant unter Bezug auf Morawieckis Zwei-Stunden-Bemerkung, nehme man die Unfähigkeit vom 1. August zum Maßstab, hätten "die Wagner-Söldner in aller Ruhe nicht nur bis zur Hauptstadt fahren können". Der Ex-General Mirosław Różański betonte, dass Belarus Polen zuvor über die - angeblich nur auf belarussischem Grenzgebiet - geplanten Flüge informiert, doch Warschau gleichwohl jede effektive Kontrolle versäumt habe.

Der Ex-General erinnerte auch daran, dass am 22. April beim Dorf Zamość in der Nähe des Militärstützpunktes Bydgoszcz Trümmer eines russischen Ch-55-Marschflugkörpers gefunden wurden - öffentliche Aufklärung blieb aus. Polens Regierung erfinde "falsche Bedrohungen", sei aber nicht in der Lage, "auf faktische Bedrohungen zu reagieren", so Różański.

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