Pisa-Studie:Viele Jugendliche können Fakten und Meinungen nicht unterscheiden

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"Unruhig" aufgrund der neuen Erkenntnisse: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). (Foto: BMBF; Hans-Joachim Rickel/obs)

Fast die Hälfte der deutschen Schüler ist laut Pisa-Studie dazu nicht in der Lage. Eine andere Zahl aber bereitet Bundesbildungsministerin Karliczek noch größere Sorgen.

Von Paul Munzinger, München

Lesen, das haben die Macher der Pisa-Studie vor ein paar Jahren festgestellt, ist auch nicht mehr das, was es mal war. Und verantwortlich ist natürlich das Internet. Mussten die 15-Jährigen, die an dem internationalen Bildungstest der OECD teilnehmen, früher einfach Texte lesen und dann Fragen zum Inhalt beantworten, hieß es bei der letzten Pisa-Auflage 2018: Das reicht nicht mehr. Lesekompetenz setze heute viel mehr voraus, nämlich vor allem die Fähigkeit, glaubwürdige Quellen im Netz von unglaubwürdigen zu unterscheiden. Ein mündiger Leser, das ist im 21. Jahrhundert einer, der nicht nur verstehen, sondern auch einordnen kann. Kein Text ohne Kontext.

Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland, das ist das Ergebnis einer an diesem Dienstag vorgestellten Sonderauswertung der jüngsten Pisa-Studie, haben beim digitalen Lesen noch Nachholbedarf. Nur 45 Prozent von ihnen sind demnach in der Lage, in einem Text Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Nur rund die Hälfte gab zudem an, das Erkennen subjektiv gefärbter Texte im Unterricht zu lernen. In den USA oder Dänemark lag die Quote bei mehr als 70 Prozent. Von den heute 15-Jährigen, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, sei häufig als "Digital Natives" die Rede. "Doch auch wer im digitalen Zeitalter geboren wird, muss diese Kompetenzen noch erwerben."

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Bemerkenswert ist, dass die 15-Jährigen in Deutschland eigentlich sehr gut Bescheid wissen. In kaum einem Land konnten die Jugendlichen Fragen etwa nach dem Umgang mit verdächtigen E-Mails besser beantworten. Doch es hapere bei der Umsetzung, bei der "Handlungskompetenz", so Schleicher. Die Pisa-Studie legte den Teilnehmern etwa einen fiktiven Blogeintrag vor, der auf andere Artikel verlinkt, die dann wiederum bewertet werden mussten. Dabei schnitten die deutschen Jugendlichen unterdurchschnittlich ab.

Schleicher sieht in dieser Kluft zwischen Theorie und Praxis einen Auftrag an die Schulen, dem Lesen im Digitalen im Unterricht mehr Aufmerksamkeit zu widmen. "Die Schulen können hier viel tun", sagte er. Über die Auswirkungen der Pandemie auf die Lesefähigkeiten der Jugendlichen sagt die Studie nichts aus - die Daten wurden 2018 erhoben. Denkbar ist, dass die seit März 2020 massiv verstärkten Bemühungen um die Modernisierung der Schulen die digitalen Kompetenzen verbessert haben könnten. Möglich ist aber auch das Gegenteil: dass das Lesen, egal ob analog oder digital, unter den Schulschließungen gelitten hat.

Wer Freude am Lesen hat, liest besser

Generell gilt mit Blick auf die Pisa-Daten: Mädchen lesen deutlich besser als Jungen. Und Jugendliche aus privilegierten Elternhäusern lesen besser als Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. In Deutschland ist die Diskrepanz in beiden Fällen besonders groß. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) betonte, dass ein Fünftel der 15-Jährigen kaum in der Lage ist, Texte zu verstehen; betroffen sind vor allem Jungen aus sozial ungünstigem Umfeld. "Das macht mich mittlerweile echt unruhig", sagte Karliczek.

Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte, es bereite ihm "besonderen Kummer", dass die Freude am Lesen in kaum einem Land in den vergangenen Jahren so gesunken ist wie in Deutschland. Warum das so ist, verrät die Studie nicht. "Hierzu sind weitere Forschungsarbeiten nötig", heißt es. Was die Studie jedoch aussagt: Das digitale Lesen ist wichtig. Aber Freude macht das Lesen vor allem dann, wenn das Buch, das man liest, gedruckt ist. Und wer Freude am Lesen hat, liest besser - umso mehr, wenn die Bücher länger als 100 Seiten sind.

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