Perspektive für die EU:Europa muss zurück zur Politik

Lesezeit: 3 min

Nach dem Griechenland-Drama zurück zur Politik: Die EU braucht wieder eine politische Agenda. (Foto: dpa)

Seit Jahren beherrscht das Drama um Griechenland die EU, als Akteur handelt vor allem die EZB. Nun muss wieder die politische Reform der Union auf die Agenda: Der Euro braucht nicht nur eine Zone, er braucht eine Politik.

Von Stefan Kornelius

Europa-Pathos ist gründlich aus der Mode geraten. In den Krisenjahren seit 2008 hat eine neue Nüchternheit den Kontinent gepackt. Helmut Kohls fahnenschwingende Europa-Fröhlichkeit ist verpufft, Joschka Fischers Vereinigte Staaten von Europa haben sich aufgelöst. Unter Europa-Enthusiasten hat sich Angela Merkel als Krisen-Kanzlerin den Ruf einer knallharten Befürworterin der Vormacht der Nationalstaaten erworben: Geschäfte in Europa werden von den Regierungen gemacht.

Das ist die eine Wahrheit. Die andere erschließt sich nur, wenn man den langen Rhythmus der Krisen-Union betrachtet. Europa ist schrecklich vorsichtig geworden. Nach der gescheiterten Verfassungsdebatte Anfang der Nullerjahre, nach zermürbenden Vertragsverhandlungen und politischen Nahtod-Erlebnissen an Referendumsurnen hat sich eine ängstliche Vernunft breitgemacht. Die Krisenjahre seit 2008 waren nicht gemacht für große Operationen. Die lebenserhaltenden Eingriffe, der Aufbau der Sicherungsschirme und die ersten Strukturreformen, waren schwierig genug. Den Rest verhinderten Populisten von Rom bis London.

Nun erlebt dieses Europa wieder einmal einen Moment der Verdichtung. Die selbstmörderische Krisenpolitik der griechischen Regierung löst plötzlich wieder Untergangsfantasien im Euro-Raum aus. Geopolitiker fürchten die zersetzende Wirkung eines griechischen Austritts für den Rest der Union. Ihre Logik: Wenn Europa am Rand bröckelt, wird ein Riss sich bis ins Zentrum vorarbeiten.

Die politische Reform der EU muss wieder auf die Agenda

Zweitens die Europäische Zentralbank: Sie mag ungerechtfertigterweise ihre neuen Büros an diesem Mittwoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit eröffnen, weil sie von denen belagert wird, die Europa schon immer in der Hand finsterer Finanzmächte vermuteten. Unbestritten ist aber auch, dass die Bank über den Hebel Geldpolitik eine Macht angehäuft hat, die in die Hände von gewählten Parlamenten und Regierungen gehört.

Wem das nicht reicht, der kann sich, drittens, am Jahrestag der Krim-Annexion die desintegrierende Wirkung der russischen Politik auf die Europäische Union in den wildesten Farben ausmalen. Die Mehrheit der Ukrainer war fasziniert von dieser europäischen Idee und glaubte dem Assoziierungsversprechen ihres damaligen Präsidenten - eine Vorstellung, die sie nun mit Krieg büßen muss.

Die Geldpolitik, die griechische Selbstzerstörung und die russische Herausforderung zwingen die EU zu einer ernsten Selbstprüfung: Ist die Gemeinschaft noch in der Lage, eine positive Botschaft zu entwickeln? Kann sie ihre Strukturprobleme beheben und ihren Bürgern vermitteln, dass der Nutzen einer Mitgliedschaft die Kosten bei Weitem übersteigen? Wer die Antwort auf diese Frage nicht liefern kann, dem wird von der AfD, dem Front National oder der Ukip geholfen. Nebenbei gibt es auch einen taktischen Grund, jetzt über Europas positive Botschaft zu reden: Nachdem sich Griechenland jedem vernünftigen Krisenmanagement entzieht, muss die Gemeinschaft für gute Nachrichten sorgen, sollte das Katastrophenszenario Grexit eintreten.

Die Gemeinschaft ist anfällig für eine Wiederholung des Spuks

Die Chancen für einen neuen europäischen Aufbruch stehen dabei nicht schlecht. Die Rettungslogik - reformieren, sparen und investieren - wird in nahezu allen Krisenstaaten beherzigt und zeigt auch erste Erfolge. Selbst Frankreich hat sich inzwischen einem Reformprogramm verschrieben, auch wenn zwei wertvolle Jahre verzaudert wurden. Beim europapolitischen Großthema Migration zeigt die Union trotz heftiger Turbulenzen eine bemerkenswerte Stabilität. Und Russland hat - bei aller ukrainischen Tragik - eine neue Geschlossenheit in der Außenpolitik provoziert und vor allem Deutschland und Frankreich enger zueinandergeführt.

Hier liegt die möglicherweise frohe Botschaft für die Union. Deutschlands Reformehrgeiz in den heißen Krisenjahren wurde regelmäßig gebremst, weil die Regierung alleine stand mit ihrem Eifer. Das Tempo war zu hoch. Nun verschiebt sich das französische Interesse, und plötzlich hat Berlin wieder einen gewichtigen Verbündeten, ohne den die Euro-Zone nicht zu bewegen sein wird. Die Aufgaben bleiben dabei so richtig wie vor vier Jahren: Budget- und Investitionskontrolle, Margen für den Staatsanteil - die Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik brauchen einen Rahmen, den nur die Gemeinschaft setzen und kontrollieren kann.

Wichtig ist, dass diese Diskussion wieder mit Leben erfüllt wird. Europa hat seine Krise vielleicht unter Kontrolle, aber die Gemeinschaft ist immer noch anfällig für eine Wiederholung des Spuks. Der Euro braucht nicht nur eine Zone, er braucht eine Politik.

© SZ vom 18.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: