Europäische Zentralbank:Draghis Mission

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Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main: EZB-Chef Draghi fordert mehr Integration in der EU bei der Finanzpolitik. (Foto: Boris Roessler/dpa)
  • EZB-Präsident Mario Draghi forderte die EU-Mitgliedstaaten beim SZ-Finanztag auf, mehr Souveränität an die EU abzugeben.
  • Nur so könne die politische Union vertieft werden. So wie die Währungsunion jetzt ist, sei sie unvollständig. Jeder einzelne Staat könne zu Instabilität für den ganzen Raum führen.
  • Der Aufbau eines europäischen Finanzministeriums setzt eine Änderung der Europäischen Verträge voraus. Dazu müssten die 19 Parlamente der Mitglieder des Euroraums zustimmen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat die Staaten der Euro-Zone dazu aufgefordert, mehr Macht an europäische Institutionen abzugeben. "Wir brauchen einen Quantensprung bei der institutionellen Konvergenz", sagte Draghi am Montagabend beim SZ-Finanztag in Frankfurt. "Wir müssen wegkommen von einem Regelsystem für nationale Wirtschaftspolitik und stattdessen mehr Souveränität an gemeinsame Institutionen abgeben." Gleichzeitig, so der EZB-Präsident, müsse Europa gegenüber den Bürgern mehr demokratische Rechenschaft ablegen. Das vertiefe die politische Union.

Draghis Vorstoß kommt zu einem Zeitpunkt, da die Euro-Zone erneut in Turbulenzen zu geraten droht. Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist möglich. Die Wirtschaftsentwicklung stockt, weil Italien und Frankreich zu wenig reformieren. Draghi geht das Thema bewusst offensiv an. Dabei gilt es als ungeschriebenes Gesetz, dass Notenbanker den Politikern keine naseweisen Empfehlungen geben. Im Gegenzug sollen Politiker die Unabhängigkeit der Währungshüter respektieren. Doch Draghi gibt sich als Grenzgänger.

Der EZB-Präsident zeigt sich unzufrieden mit den Regierungen in Europa. "Die Haushaltsregeln sind wiederholt gebrochen worden, und das Vertrauen zwischen den Staaten ist gestört." Draghi sagte, dass die EZB helfen könne, die Wirtschaft anzukurbeln, doch "jetzt ist es an den Regierungen diese Gelegenheit zu ergreifen und diese Verbesserungen zu zementieren. Draghi erklärte, die Währungsunion sei unvollständig geblieben. "Weder unsere Wirtschaft noch unsere Institutionen haben sich genug vereinheitlicht." Daher könne jeder ernsthafte Schock in einem Land Fragen zur Stabilität des gesamten Euroraums aufwerfen. "Was in jedem Einzelstaat passiert, ist nicht nur in nationalem Interesse, es ist im kollektiven Interesse." Jedes Mitgliedsland habe ein vitales Interesse daran sicherzustellen, dass die Partner ihre Mitgliedsanforderungen erfüllen.

Europäisches Finanzministerium, das in die Haushaltspolitik eingreift

Draghis Aufruf zu mehr Europa hat ein Vorbild. Im Juni 2011 forderte sein Amtsvorgänger Jean-Claude Trichet langfristig den Aufbau eines "Europäischen Finanzministeriums". Der Franzose hatte an diesem Tag in Aachen den Karlspreis für besondere Verdienste um Europas Integration erhalten. Trichet regte damals an, dass Euro-Krisenstaaten wie Griechenland, Irland und Portugal künftig einem europäischen "Veto gegen bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen" unterliegen, falls sie ihre Sparversprechen im Gegenzug für Rettungsdarlehen nicht einhalten. Ein Europäisches Finanzministerium solle in die Haushaltspolitik der renitenten Krisenstaaten hineinregieren.

So könnte Europas Zukunft aussehen. Doch derzeit wagt sich kaum ein Regierungschef aus der Deckung: Das Spardiktat der EU und der EZB wird von vielen Wählern als ungerecht empfunden. Der Aufbau eines europäischen Finanzministeriums setzt eine Änderung der Europäischen Verträge voraus. Dazu müssten die 19 Parlamente zustimmen, in einigen Fällen wären Volksabstimmungen nötig.

Mario Draghi beim SZ-Finanzgipfel am Montagabend in Frankfurt. Der EZB-Präsident fürchtet den Tabubruch. (Foto: Johannes Simon)

Die Frage, welche Vision Europas Politiker für die Zukunft der Währungsunion haben, ist noch offen. Sind die Vereinigten Staaten von Europa das Ziel? Oder bleibt es beim nationalstaatlichen Kleinklein? Draghi möchte die Währungsunion unter allen Umständen zusammenhalten. Das hat er im Juli 2012 in seiner Londoner Rede deutlich gemacht. Damals versprach er, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten. Auch Griechenland soll drinbleiben. Draghi fürchtet den Tabubruch eines Austritts, dem dann auch ein zweiter folgen könnte. Für den EZB-Chef ist die Euro-Zone für die Ewigkeit ausgelegt. Die Union einfach verlassen wie einen Verein - das dürfe man nicht erlauben. Doch der Italiener weiß, dass die Billionenhilfen seiner Notenbank allenfalls Zeit kaufen können.

Europa ist anders als der Rest der Welt. Die amerikanische, japanische und britische Notenbank machen Geldpolitik für einen Staat. Die EZB macht eine Geldpolitik für 19 Staaten. Das ist schwierig, denn jedes Land geht finanzpolitisch seinen eigenen Weg. Die Wirkung der EZB-Maßnahmen entfaltet sich unterschiedlich. Deren Kraft ist beschränkt, weil es keine Vereinigten Staaten von Europa gibt.

Die EZB hat ihre Möglichkeiten in den vergangenen Jahren weitgehend ausgeschöpft. Die Notenbank hat den Leitzins auf 0,05 Prozent gesenkt - so tief wie noch nie zuvor. Dazu hat die EZB ein Kreditprogramm aufgelegt mit einem Volumen von zunächst 400 Milliarden Euro. Banken erhalten das Geld sehr günstig, wenn sie es nachweislich als Darlehen an Firmen und Haushalte vergeben. Im Herbst 2014 begann die EZB zudem mit dem Ankauf von Kreditverbriefungen und Pfandbriefen.

Nicht auf ewig so viel billiges Geld

Im März folgte der Start der letzten großen Rettungsaktion: Die EZB kauft nun auch Staatsanleihen aus der Euro-Zone. Jeden Monat sollen 60 Milliarden Euro ins Finanzsystem fließen. Insgesamt plant die EZB, bis September 2016 rund 1,1 Billionen Euro einzuschleusen, eine vor allem in Deutschland umstrittene Maßnahme.

Das Ziel ist es, die Kreditvergabe im Euroraum und damit das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Doch bislang fließt das Geld vor allem an die Börse. Der Dax hat in den letzten Wochen einen Rekordstand nach dem anderen erreicht und notiert nun erstmals über 12 000 Punkte. Es ist ein Teufelskreis. Aufgrund der niedrigen Zinsen sind Investoren fast gezwungen, ihr Geld in Aktien zu stecken. So bewahren sie sich zumindest die Chance, eine Rendite zu erzielen. Viele Staatsanleihen werfen gar keine Rendite mehr ab - im Gegenteil: Die Geldgeber machen Verlust, wenn sie etwa dem deutschen Staat Geld leihen.

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Draghi weiß, dass er nicht auf ewig so viel billiges Geld zur Verfügung stellen kann. Deshalb ruft der Italiener zur Mithilfe auf: Die Staaten müssten ihr Wirtschaftssystem reformieren, die Bürokratie abbauen, mehr für Bildung tun, mehr in Infrastruktur investieren - und eine neue Ordnung für Europa schaffen.

Manchmal stapelt Draghi tief, wenn er meint: "Wir sind nicht dazu da, um Regierungen zu sagen, was zu tun ist, und auch nicht, um Regierungen zu erpressen, nach dem Motto, dass, wenn sie etwas nicht tun, wir etwas anderes tun." Mag sein. Vielleicht reicht es ja, Regierungen daran zu erinnern, wer am Geldhahn sitzt.

© SZ vom 17.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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