Pegida, Hogesa, AfD und Montagsmahnwachen:Das Jahr der großen Wut

Pegida Demonstrations Continue In Dresden

Pegida-Demonstration in Dresden.

(Foto: Getty Images)
  • Teile der AfD-Basis, die Demonstranten von Hogesa, Pegida und den neuen Montagsmahnwachen eint die Wut auf "Mainstreammedien" und "die Politiker".
  • Dieses Gefühl reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Woher kommt es? Und was bedeutet es für die Arbeit von Politik und Medien?
  • Journalisten und Journalistinnen sind hier längst nicht mehr nur Beobachter, sondern Betroffene. Deswegen ist dieser Artikel auch ein subjektiver Jahresrückblick auf eine Debatte, die erschreckt.

Von Hannah Beitzer

Das Jahr 2014 in Deutschland: Die AfD gewinnt in Landtagswahlen in Ostdeutschland bis zu zwölf Prozent. In ihrer Wahlkampagne thematisiert sie Asylmissbrauch und Grenzkriminalität. In Köln protestieren gewaltbereite Hooligans gemeinsam mit Neonazis gegen Salafismus. Es kommt zu Ausschreitungen. In Dresden gehen 15 000 Menschen gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes auf die Straße. Sie folgen einem vorbestraften Mann, der sich über angeblich verwöhnte Asylbewerber erregt.

Auf sogenannten Montagsmahnwachen und den Demonstrationen zum "Friedenswinter" versammeln sich in deutschen Städten antisemitische Verschwörungstheoretiker, Mitglieder der Linkspartei, und alte Friedensbewegte.

Was Teile der AfD-Basis mit den gewaltbereiten Hooligans, den fremdenfeindlichen Pegida-Spaziergängern und den Verschwörungstheoretikern der Montagsmahnwachen gemeinsam haben, ist Wut. Eine Wut, die sich gegen die etablierten Parteien, "die Politiker" und die "Mainstreammedien" richtet: Wir sind das Volk und werden verarscht, von der Lügenpresse, der alternativlosen Kanzlerin Merkel, gesteuert vom großen Bruder Amerika. Und so ist dieser Artikel der Rückblick auf eine Debatte, in der Berichterstatter und Berichterstatterinnen einmal nicht als Beobachter am Rand stehen, sondern selbst betroffen sind.

Die Wut gibt es nicht nur am Rand

Dieses Gefühl der Wut hat längst schon Teile der Gesellschaft erfasst, die sich nie gemeinsam mit Neonazis auf die Straße stellen würden. Die Wut gibt es nicht nur an den vom intellektuellen Diskurs abgekoppelten Rändern der Gesellschaft, wo immer die genau sein mögen. Journalisten und Journalistinnen zum Beispiel sind mit ihr heute dort konfrontiert, wo sie damit überhaupt nicht rechnen.

Da ist zum Beispiel der Schulfreund mit Einser-Abitur, der begeistert Videos des Kreml-Senders Russia Today auf Facebook postet: "Endlich mal eine andere Sicht auf die Dinge." Da sind die Freunde der Eltern - Hochschulprofessoren, pensionierte Lehrer - , die von einem Propagandafeldzug von Regierung und Medien gegen Russland sprechen. Da ist der neue Freund der Studienfreundin, der einem "alternative Online-Medien" zur großen US-amerikanischen Finanzkapitalverschwörung ans Herz legt. Da sind die Bekannten, die sagen, sie könnten den Frust der Pegida-Demonstranten schon verstehen.

Alles keine tumben Nazis, keine geistig verwirrten Aluhut-Träger. Sondern Leute, mit denen man normalerweise friedlich bei einem Glas Wein über die Vorzüge von Bio-Supermärkten und die Schwierigkeiten bei der Kitaplatz-Suche plaudern würde. Und all diese Menschen haben das Gefühl, dass es in Deutschland eine selbstherrliche Elite gibt - bestehend aus Politikern und großen Medien -, die sich um Meinung und Interessen des Volkes nicht schert. Umfragen bestätigen den Eindruck, dass die Wut bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht.

Die Bindungskraft etablierter Organisationen sinkt

In der Tat ist in Deutschland in den vergangenen Jahren einiges verrutscht. Politiker und Massenmedien nahmen auch früher im politischen Diskurs einen wichtigen Platz ein. Aber es gab eben auch noch zahllose Organisationen, die den ganz normalen Bürger ins gesellschaftspolitische System einzubinden suchten: Parteien, die neben den Berufspolitikern ja auch noch eine Basis haben, die sich beteiligt. Gewerkschaften, die in ihrem Selbstverständnis für weit mehr zuständig sind als die Aushandlung von Tarifverträgen. Kirchen, die für sich in Anspruch nehmen, in politischen Fragen ein Gegengewicht zum weltlichen Politikbetrieb zu bieten.

Die Organisationen sind zwar immer noch da und versuchen das mit dem Einbinden. Doch ihre Bindungskraft nimmt seit Jahren ab. Die Mitgliederzahlen der Parteien sinken, die Kirche ist aus diversen Gründen längst nicht mehr die erste moralische Instanz. Die Gewerkschaften klagen besonders über einen Mangel an jungen Leuten, wenngleich sie ihren Mitgliederschwund zuletzt stoppen konnten.

Zwar sind die Menschen heute auch nicht weniger politisch interessiert als früher. Doch ihr Engagement äußert sich anders, punktueller, themenbezogener. Das kontinuierliche Engagement in einer Organisation, von der Wiege bis zur Bahre, wird immer seltener, sagen Parteien- und Protestforscher. Also Bürgerinitiative statt Partei.

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