Steinmeier über Corona-Politik:"Wir haben wichtige Fragen nicht gestellt"

Lesezeit: 2 min

Bundespräsident Steinmeier (li). ehrt den ehemaligen Chef des RKI, Lothar Wieler, mit dem Bundesverdienstkreuz - und mahnt zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Es habe während der Pandemie viel Misstrauen gegen politisches Handeln gegeben, sagt Bundespräsident Steinmeier. Auch deshalb plädiert er für eine "ehrliche Aufarbeitung".

Von Robert Roßmann, Berlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlangt eine Überprüfung der staatlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie. Das sei zum einen nötig, weil man vor einer möglichen weiteren Pandemie die Lehren aus der vergangenen gezogen haben sollte, sagte Steinmeier am Donnerstag. Das sei aber auch deshalb wichtig, weil es während der Corona-Zeit "viel Misstrauen in staatliche Maßnahmen, in politisches Handeln, ja in die demokratische Selbstorganisation unserer Republik" gegeben habe. Dieses Misstrauen sei "oft bis hin zu absurden Verschwörungserzählungen" gegangen. Auch die Wissenschaft sei "fundamental infrage gestellt" worden.

Bei seinen Begegnungen in Deutschland stelle er fest, dass sich solche Haltungen "bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein" verfestigt hätten, sagte der Bundespräsident. Er plädiere deshalb für eine "ehrliche Aufarbeitung".

Die FDP verlangt eine Enquete-Kommission

Anlass für Steinmeiers Rede in Schloss Bellevue war eine Ehrung der ehemaligen Präsidenten des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts, Lothar Wieler und Klaus Cichutek. Die beiden wurden vom Bundespräsidenten mit Bundesverdienstkreuzen ausgezeichnet.

Rückblickend auf die Pandemie sagte Steinmeier: "Uns kam es damals vor, als wären wir innerhalb von kurzer Zeit in eine neue und unbekannte Welt versetzt worden." Es habe "leere Straßen, geschlossene Geschäfte und Gaststätten, Home-Office für viele Beschäftigte, keine Sportveranstaltungen, keine Konzerte, kein Theater, geschlossene Schulen und Kindergärten" sowie die Maskenpflicht gegeben. Für viele sei das heute "fast nur noch eine ferne Erinnerung". Dabei seien allein in Deutschland 180 000 Menschen gestorben und viele würden "noch heute mit Long Covid an den Folgen leiden".

"Vergessen hat seine gute und seine schlechte Seite", sagte der Bundespräsident. Die gute sei: Wer Schweres vergesse, könne leichter und mit neuer Kraft ins Leben gehen, die schlechte sei jedoch: "Wir haben wichtige Fragen nicht gestellt." Als Beispiele nannte Steinmeier: "Was hätten wir, trotz all der Unsicherheit und der Wucht des unbekannten Erregers, besser machen können? Wo sind wir zu streng und vielleicht übervorsichtig gewesen, und wo waren wir zu nachlässig und leichtfertig? Welche Gruppen und Bevölkerungsteile haben besonders unter den Maßnahmen zu leiden gehabt? Wer hätte mehr Hilfe und Unterstützung gebraucht? Wo haben wir mit Maßnahmen zu lange gewartet?"

Die Ampel ist sich in puncto Aufarbeitung uneins, die Union hält sich zurück

Die FDP-Bundestagsfraktion hatte bereits im März vergangenen Jahres die Einsetzung einer Enquete-Kommission "Pandemie" verlangt. Auf Initiative ihres gesundheitspolitischen Sprechers Andrew Ullmann hatten die Liberalen ein Positionspapier vorgelegt, in dem es unter anderem heißt, die während der Pandemie beschlossenen Maßnahmen müssten "auf ihre Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit hin retrospektiv betrachtet und bewertet werden". Die FDP konnte sich damit aber innerhalb der Ampelkoalition nicht durchsetzen. Die Unionsfraktion ist bei dem Thema zurückhaltend, ihr Mitglied Jens Spahn war während der Pandemie Gesundheitsminister. Die AfD-Fraktion hat dagegen sogar die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangt.

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Bei der FDP sieht man sich durch Steinmeiers Vorstoß jetzt bestätigt. "Die Rede des Bundespräsidenten zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Klaus Cichutek und Lothar Wieler ist auch und vor allem ein politischer Auftrag zur Aufklärung und Aufarbeitung der Pandemie", sagte der FDP-Gesundheitspolitiker Ullmann der Süddeutschen Zeitung. "Das politische Schweigen, Vergessen und die Ignoranz werden uns noch auf die Füße fallen." Deshalb sei jetzt eine Enquete-Kommission nötig. Er fordere "alle demokratischen Parteien auf, sich dem Aufruf des Bundespräsidenten anzuschließen und umgehend alles in die Wege zu leiten, um eine Enquete-Kommission einzuberufen". Dabei gehe es "nicht darum, politisch zu verurteilen, sondern um die politisch-wissenschaftliche Beurteilung, um für die Zukunft valide Entscheidungen treffen zu können".

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