Konsum:Alte Liebe

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Warum die Deutschen in der Pandemie mehr Kartoffeln essen.

Von Joshua Beer

Aus dem Büro ins Home-Office, von der Kantine in die Heimküche. Corona hat verändert, wo wir essen - und was. Die Deutschen verspeisen mehr Kartoffeln, insgesamt 59,4 Kilogramm pro Kopf waren es von Mitte 2020 bis Mitte 2021, wie das Bundeslandwirtschaftsministerium ermittelt hat, etwa zwei Kilo mehr als im Jahr davor. Die deutsche Liebe zu der Knolle scheint mit der Krise zuzunehmen.

Das gilt nicht nur für die deutsche; in ganz Europa sei die Nachfrage in der Pandemie gestiegen, sagt Christoph Hambloch, der den Kartoffelmarkt seit mehr als zwei Jahrzehnten als Analyst beobachtet. "Bei den Hamsterkäufen 2020 ging es nicht nur um Toilettenpapier." Der Konsum habe sich dabei mit den Corona-Maßnahmen verändert. In Phasen von Lockdown und Kontaktbeschränkungen stieg er, in den Sommern fielen die Umsätze auf vorpandemisches Niveau.

Aus Sicht von Experten verstärkt dieser Corona-Effekt einen viel größeren, langfristigen Trend. Denn schon vor der Pandemie nahm der Kartoffelverzehr leicht zu, wohl verursacht von einem generellen Umdenken: weniger Fleisch, mehr Bio, mehr lokal. "Die Kartoffel ist ein regionales Produkt, das den Zeitgeist trifft", sagt Johann Graf, der sich beim Bayerischen Bauernverband mit Anbau und Vermarktung der Knolle befasst. Während allerdings früher verarbeitete Produkte stark gefragt waren, hat die einfache Speisekartoffel in den vergangenen beiden Jahren ein Revival erlebt. Als Gaststätten schließen mussten, blieben Pommes- und Knödelhersteller auf ihren Produkten sitzen, die Regale mit Frischkartoffeln wurden hingegen leer geräumt. Für Johann Graf liegen deren Vorteile auf der Hand: Es sind die vielfältigen Zubereitungsarten, "Püree, Aufläufe, Suppen. Außerdem lässt sie sich gut bevorraten."

Die Liebe der Deutschen zur Kartoffel begann zögerlich. Als sie im 16. Jahrhundert von Südamerika über Spanien ins Land kommt, misstrauen die Deutschen dem fremden Gewächs und verfüttern es lieber an ihr Vieh. Das ändert sich, als der preußische König Friedrich der Große das Potenzial der Wurzel für das immer wieder von Hungersnöten geplagte Land erkennt und eine ungewöhnliche Kampagne startet. 1756 erlässt er den sogenannten Kartoffelbefehl an seine Beamten: "Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden." Die Legende besagt, dass er zum Schein Äcker von Soldaten bewachen ließ, um Bauern vom Wert der Knollen zu überzeugen. Nach Friedrichs Tod verbreitet sich die Kartoffel unaufhaltsam weiter, wenn auch zunächst als Arme-Leute-Essen.

Heute werden in Deutschland zwar wesentlich weniger Kartoffeln gegessen als in fast allen osteuropäischen Ländern. Der deutsche Kartoffelverbrauch liegt auch hinter dem von Belgien und Großbritannien. Dennoch ist die Knolle ein so wesentlicher Teil der Küche, dass es die Pflanze im eigenen Land zu einem Synonym für Deutsche ohne Migrationsgeschichte geschafft hat.

In der Pandemie könnte Nostalgie die Liebe zur Kartoffel noch einmal verstärkt haben. Johann Graf zufolge haben viel mehr Menschen direkt auf Bauernmärkten eingekauft: "Vielleicht kommt da eine Art Urgedanke zurück."

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