Im palästinensischen Fernsehen waren die vergangenen Tage gute Tage. Man sah dort die palästinensische Flagge in leuchtenden Farben - erstmals gehisst vor den Vereinten Nationen in New York, ein diplomatischer Erfolg, in den die Palästinenserführung viel Aufwand investiert hat. Man sah das volle Plenum der UN - mit inzwischen 135 Ländern, die den Palästinenserstaat anerkennen, so viele wie noch nie. Auch dies ist eine diplomatische Leistung, auf die sich die Führung unter Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas etwas zugutehält.
Und man sah das EU-Parlament: Dort hat palästinensisches Werben dazu geführt, dass Orangen und Wassersprudler aus den von Israel besetzten Palästinensergebieten möglicherweise bald eine besondere Kennzeichnung erhalten könnten - zur Abschreckung der Käufer.
An der Lebenswirklichkeit der Palästinenser hat sich nichts geändert
Doch nun könnte man auf Arabisch fragen: ma al-farq - na und? An der Wirklichkeit der Palästinenser hat sich durch all die diplomatischen Erfolge nichts verbessert. Auf ihre Städte und Dörfer im Westjordanland blicken immer neue israelische Siedlungen von den Hügeln herab. Deren Ausbau ist stetig weitergegangen, jüdische Extremisten schlagen immer häufiger zu. Popanz wie das Hissen der Flagge in New York ändert daran nichts.
Und so ist es auch die Enttäuschung darüber, wie wenig die palästinensische Autonomiebehörde mit ihrem diplomatischen Kurs der vergangenen Jahre für die Bevölkerung erreicht hat, die jetzt eine neue Welle von Terroranschlägen befeuert. Auf niedrigem Niveau köchelt schon seit zwei Jahren die Gewalt frustrierter palästinensischer Jugendlicher im Westjordanland und vor allem in Jerusalem. Mahmud Abbas, der Besonnene, hat durchaus einiges getan, um sie einzudämmen. Er duldet keine privaten Zündeleien.
Die Frustration entlädt sich in einem Aufstand von unten
Aber Israels Regierung hat ihm dies nie gedankt, nicht einmal, als Abbas während des Gaza-Kriegs im vergangenen Sommer alle politische Kraft aufwandte, um das Westjordanland trotz demütigender Razzien israelischer Sicherheitskräfte ruhig zu halten. Stattdessen wurde Abbas' Westjordanland weiter zerstückelt und mit Siedlungen bebaut. Stattdessen wird der Palästinenser-Präsident nun von seiner eigenen Jugend bestraft, die ihn immer mehr als Pudel Benjamin Netanjahus verachtet.
Die derzeitige Eruption der Gewalt ist kein von oben geförderter Aufstand, wie es die zweite Intifada war, die im Oktober 2000 begann. Damals schaukelte sich die Gewalt mit Duldung der Palästinenser-Führung auf, mit Unterstützung auch der Fatah-Miliz. Es steckte eine strategische, politische Entscheidung dahinter. Diesmal erinnert das Bild eher an die erste Intifada aus den späten Achtzigerjahren, an einen Aufstand, der von unten kam.
Auch ein unorganisierter Aufstand ist für Israel gefährlich
Es lassen sich bislang keine organisierten Gruppen erkennen, welche die Gewalt orchestrieren. Es sind eher Einzeltäter, die zu einer Art von Gewalt greifen, für die es nicht viel Vorbereitung braucht. Selbst im Gazastreifen scheint dies so zu sein. Die zwei Raketen, die von dort aus auf israelische Wohngebiete flogen, haben nicht die politisch Mächtigen von der Hamas geschickt, sondern angeblich ein paar obskure Salafisten.
Ein unorganisierter Aufstand ist für Israel freilich nicht weniger gefährlich als ein organisierter. Der israelischen Regierung fehlt dann ein Verhandlungspartner, der die Messerstecher und Heckenschützen zurückrufen könnte. Premier Netanjahu muss darauf warten, dass sein Gegenüber Mahmud Abbas wieder das tut, was er nachweislich gut kann: im Westjordanland mit polizeilichen Mitteln Ordnung herstellen.
Die viel größere Gefahr für Israel besteht darin, dass der politische Druck von unten den angeschlagenen Abbas wegfegt - und dass ihm jemand nachfolgt, der auf organisierte Gewalt setzt.