Ampel:"Das geht nicht spurlos vorbei an einem Industrieland wie Deutschland"

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Bundeskanzler Olaf Scholz listet in seiner Regierungserklärung die vielen Probleme auf, die Deutschland meistern müsse. (Foto: LISI NIESNER/REUTERS)

Kanzler Scholz rechtfertigt die Haushaltspolitik der Ampel und wiederholt ein altes Versprechen. CDU-Chef Merz schmettert ihm entgegen: "Sie können es nicht."

Von Oliver Klasen und Leopold Zaak

Am 15. November wurde die Ampelkoalition vom Urteil aus Karlsruhe kalt erwischt: Das Bundesverfassungsgericht untersagte die Umwidmung von Corona-Hilfen in Mittel für den Klimaschutz. Was folgt daraus? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) drückt es in seiner Regierungserklärung so aus: Der Richterspruch habe "Klarheit" geschaffen über den Umgang mit der Schuldenbremse. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) formuliert es drastischer: "Das Kartenhaus" der Regierung sei am Tag des Urteils zusammengebrochen.

Nun steht der Haushalt für das Jahr 2023 auf wackligen Beinen. Das Finanzministerium hat eilig einen Nachtragshaushalt zusammengezimmert, gestern wurde er vom Kabinett beschlossen - zwei Tage früher als geplant. Den muss Scholz nun vor dem Bundestag erklären. Und dann ist da ja noch der Haushalt für 2024, der noch nicht verabschiedet wurde.

Der Bundeskanzler räumt ein, dass die Richterinnen und Richter in Karlsruhe die haushaltspolitischen Entscheidungen, die die Ampelregierung vor zwei Jahren vorgenommen hat, "verworfen" haben. "Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten", sagt Scholz. Anschließend versucht der Kanzler jedoch, das Bild zu weiten - und zu argumentieren, dass Karlsruhe mehr getan habe, als über die Politik der Ampel zu befinden. "Das Urteil betrifft die Haushaltspraxis dieser Regierung, aber auch früherer und künftiger Regierungen", sagt Scholz. Es schaffe "eine neue Realität", nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern.

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Der Kanzler listet dann in seiner Regierungserklärung noch einmal die multiplen Krisen auf, die Deutschland in den vergangenen Jahren erschüttert haben oder noch immer erschüttern: die Pandemie, die Flut im Ahrtal, den Angriff Russlands auf die Ukraine, die darauffolgende Energiekrise. Es sei richtig gewesen, dass die jetzige Regierung - und die große Koalition zuvor - Geld zur Verfügung gestellt hätte zur Bewältigung dieser Krisen.

Merz wirft der Ampel "Manipulation an unserer Verfassung" vor

In seiner Antwort übt Friedrich Merz, Fraktionschef der CDU, scharfe Kritik an der Politik des Bundeskanzlers und dessen Regierung. "Sie sind ein Klempner der Macht. Ihnen fehlt jede Vorstellung davon, wie dieses Land sich in den nächsten Jahren weiter entwickeln soll", sagt er. Er verweist auf ehemalige Bundeskanzler aus der SPD - sie seien Regierungschefs von politischem Format gewesen. Das sieht er bei Scholz offenkundig anders. "Sie können es nicht", sagt er. "Die Schuhe, in denen Sie stehen, sind Ihnen zwei Schuhnummern zu groß."

Die Bundesregierung habe versucht, finanzpolitische Wünsche aller drei Parteien zu erfüllen: Investitionen in den Klimaschutz und Ausbau des Sozialstaats bei Einhaltung der Schuldenbremse. Das Urteil aus Karlsruhe habe eine "Manipulation an unserer Verfassung" beendet. Das sei richtig und notwendig gewesen.

"Sie können es nicht". Friedrich Merz kritisiert Kanzler Scholz in seiner Rede heftig. (Foto: Liesa Johannssen/Reuters)

Er wirft dem Kanzler vor, in seiner Rede keine Verantwortung übernommen zu haben für die Haushaltslage nach dem Urteil. Er verweist auf Scholz' Amtszeit als Finanzminister, in der er die Buchungstechnik mitverantwortet hatte, die Karlsruhe untersagt hat. "Sie wissen doch sonst immer alles, und vor allem wissen Sie immer alles besser", sagt er. Der Bundeskanzler, sagt Merz, hätte wissen müssen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden werde. Außerdem vermisst Merz ein Zeichen der Reue. "Nach einer solchen Niederlage" erwarte er eine Entschuldigung.

Das übernehmen die Grünen: In ihrer Rede drückt deren Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge ihr Bedauern über die Lage im Haushalt aus. "Das war für niemanden gut, dass wir das falsch eingeschätzt haben", sagt sie.

Der Kanzler wiederholt in seiner Rede noch einmal, was in den vergangenen Tagen von der Ampel entschieden wurde: dass die Regierung die Haushaltsnotlage für 2023 erklärt, um die Schuldenbremse umgehen und einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen zu können. Auch dass die Energiepreisbremsen zum Ende des Jahres auslaufen, betont er noch einmal.

Der Kanzler zitiert erneut ein großes Fußball-Lied

Zum Haushalt von 2024 sagt der Kanzler nur sehr wenig. Man werde in den kommenden Wochen ausführlich "über die Auswirkungen des Urteils" beraten. Die Sätze des Kanzlers lassen sich in nahezu jede Richtung interpretieren. Man wolle "vorhandene Spielräume im Haushalt" ausloten, "Schwerpunkte setzen", "natürlich auch Ausgaben beschränken", aber auch "kraftvoll in die Modernisierung Deutschlands investieren". Eine klare Aussage, ob er, ob seine Regierung erneut beabsichtigt, für 2024 eine Ausnahme zu erklären, oder ob er gedenkt, die Schuldenbremse einzuhalten, vermeidet Scholz.

Und dann bringt er seinen Evergreen, jenen Satz, den er damals mehrfach sagte, als es darum ging, die Bürgerinnen und Bürger in der Energiekrise nicht alleinzulassen, jenes Versprechen, das ausdrücken soll, dass die Regierung sich kümmert, egal was kommt. "You'll never walk alone", sagt Scholz am Ende. Ein Satz, der Wärme ausstrahlen soll in einer kalten Zeit.

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