Prantls Blick:Der Strache-Skandal verändert den Europa-Wahlkampf

Prantls Blick: Heinz-Christian Strache trat am Samstag als österreichischer Vizekanzler und FPÖ-Chef zurück.

Heinz-Christian Strache trat am Samstag als österreichischer Vizekanzler und FPÖ-Chef zurück.

(Foto: AFP)

Mit diesem Rücktritt bricht der erste große Stein aus der Mauer des populistischen Extremismus in Europa. Die Publikation des Videos war daher demokratische Pflicht.

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Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Der Satz gilt auch für die Politik. Heinz-Christian Strache, Vizekanzler von Österreich, hat das nicht geglaubt. Er hat geglaubt, er könne sich alles erlauben. Er hat geglaubt, er könne den österreichischen Trump geben; er hat geglaubt, wer, wie er, in der braunen Soße gebadet hat, sei unverwundbar. Strache hat sich getäuscht. Man kann nicht, auch nicht in Österreich, den Saubermann spielen und dann Drecksreden führen, wie es stundenlang auf dem Ibiza-Video zu hören und zu sehen ist. Die Grundmechanismen der Politik funktionieren in Österreich. Es geht in Österreich viel, aber es geht nicht alles. Der Rücktritt von Strache ist eine Chance für das schöne Land im Herzen der EU. Dieser Rücktritt eröffnet die Chance der Rückkehr des Landes zu einer anständigen Politik. Der Strache-Skandal ist ein FPÖ-Skandal, es ist der Skandal einer Partei des populistischen Extremismus. Strache und der FPÖ-Fraktionschef im Nationalrat, Johann Gudenus, sind die Hauptfiguranten dieses Skandals. Es wird der FPÖ nicht gelingen, die angebliche Unrechtmäßigkeit des Videos zum Skandal zu machen.

Die Publikation dieses Videos war demokratische Pflicht. Es ging und geht um die Aufdeckung von galoppierender Skrupellosigkeit und von Kriminalität. Die Publikation des Videos war und ist Notwehr und Nothilfe. Sie ist Notwehr gegen die Vergiftung des Staates durch die FPÖ-Führer; und sie ist Nothilfe für die österreichische Demokratie. Das Strache-Video, der Strache-Rücktritt - das verändert den Europawahlkampf, nicht nur in Österreich. Mit diesem Skandal, mit diesem Rücktritt bricht der erste große Stein aus der Mauer des populistischen Extremismus in Europa. Das Rumpeln und Krachen des stürzenden Steins hören nicht nur die Wählerinnen und Wähler in Österreich, sondern auch die in Deutschland, Frankreich und Italien. Aus einem viel zu laschen Europawahlkampf wird auf den letzten Metern ein unglaublich spannender Wahlkampf.

Strache stürzt sich selbst in die Pauke

Ich habe die ersten Nachrichten aus Österreich am Freitag auf einer Vortragsreise gehört, als ich gerade durch die historische Stadt Münster lief - die Stadt des westfälischen Friedens. Der Oberbürgermeister dort hat den Prinzipalmarkt vor dem historischen Rathaus der Stadt zur Europawahl festlich beflaggen lassen. Es hängen dort in langer Reihe die blauen Fahnen mit den zwölf Sternen; und dazwischen hängen die Farben der alten Stadt des westfälischen Friedens: Gold, Rot und Silber. Das ist ein schönes Bekenntnis. Als die Europafahnen dort aufgehängt wurden, war vom Strache-Skandal noch nichts bekannt. Aber mir schien es, als ich auf dem Marktplatz in Münster der Roma-Band zuhörte, die den Café-Gästen aufspielte - mir schien es, als wäre das Blau der Europafahne jetzt noch blauer und als würden die zwölf Sterne jetzt blinzeln. Paukenschläge. Bei Joseph Haydns Sinfonie mit dem Paukenschlag kommt der große Rumms, also der Paukenschlag, nach 16 Takten. In der Politik des Jahres 2019 kam der große Rumms noch früher. Er kam schon nach 15 Tagen. Die Ablehnung des Brexit-Vertrages durch das Britische Parlament am 15. Januar war ein wilder, ein aufregender und bedrohlicher Jahresauftakt. Er stürzte Großbritannien ins Chaos und Europa in größte Ungewissheiten.

Nach der Legende soll Joseph Haydn den Paukenschlag in den langsamen zweiten Satz hineinkomponiert haben, um das träge Publikum aus seinem konzertanten Tiefschlaf zu wecken. Vielleicht, so habe ich schon im Januar gehofft, ist das Brexit-Drama auch so ein Paukenschlag, um die Bürgerinnen und Bürger Europas aufzuwecken. Aber es besteht die Gefahr, dass man sich, weil es so viele Paukenschläge aus London und aus Brüssel gibt, an die Paukerei gewöhnt, weil es immer wieder neue Brexit-Paukenschläge gibt. Der Strache-Paukenschlag ist nun von anderer Art. Strache hat sich selbst in die Pauke gestürzt. Der Brexit war und ist ein Ausdruck und ein Ergebnis von ungeheurem politischen Unvermögen der Regierenden in Großbritannien. Der Strache-Skandal ist ein Ausdruck und ein Ergebnis von ungeheurer politischer Unverfrorenheit der FPÖ-Führer in Österreich. Neue Stärke für den Kontinent und seine Menschen, das ist die Lehre aus beiden Paukereien, kommt nicht von denen, die den Nationalismus predigen. Das heißt: Aus der Europawahl sollte eine Kundgebung gegen den neuen alten Nationalismus werden.

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