Österreich:Beziehung ja, Liebe nein

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"Mikl-Leitner wird sich davon nie wieder erholen": Niederösterreichs Landeshauptfrau (in weißer Jacke) mit ihren neuen Regierungspartnern von der FPÖ. (Foto: Helmut Fohringer/picture alliance)

In Österreich wird die rechtspopulistische FPÖ immer wieder in die Regierung geholt, obwohl ihre Partner, allen voran die ÖVP, sich von deren Radikalität distanzieren.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Als die Österreichische Volkspartei, die ÖVP, in Niederösterreich nach der Landtagswahl und schweren Verlusten eine Koalition mit den in Teilen rechtsextremen Freiheitlichen, der FPÖ, einging, schrieb die angesehene Wiener Journalistin Anneliese Rohrer voller Bitterkeit: In den Parteizentralen der ÖVP in Bund und Land verhänge man jetzt wohl besser alle Spiegel. Denn wer von den Verantwortlichen würde da nun noch hineinschauen können?

Zuvor hatte die Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, einen emotionalen Wahlkampf geführt - und zwar gegen Rot-Blau, also gegen eine, wie sie warnte, drohende Zusammenarbeit der SPÖ mit der FPÖ. Ein solches Bündnis sei eine große Gefahr für das Land. Dabei stand diese Koalition niemals im Raum. Mikl-Leitner nannte zudem jede Kooperation mit dem berüchtigten Landeschef der FPÖ, dem Rechtsaußen Udo Landbauer, eine persönliche Zumutung. Der hatte die ÖVP-Landeshauptfrau jahrelang als "Moslem-Mama" und "Impf-Hexe" verunglimpft - und versichert, sie nie zur Regierungschefin wählen zu wollen.

Am Ende aber passte dann irgendwie doch alles zusammen. ÖVP und FPÖ gingen eine formelle Koalition ein, obwohl es der ÖVP auch für eine parlamentarische Mehrheit mit der SPÖ gereicht hätte.

Schon der legendäre SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky ließ sich von der FPÖ tolerieren

Mikl-Leitner stand damals mit zusammengebissenen Lippen und leichenblasser Miene vor der Presse, sprach davon, wie schwer ihr dieser Schritt falle, aber sie habe keine Wahl. Der SPÖ warf sie Maßlosigkeit in ihren Forderungen vor. Die österreichischen Medien, welche die Landespolitikerin und ehemalige Innenministerin lange als mögliche Kanzlerkandidatin der ÖVP gehandelt und als Sympathieträgerin gefeiert hatten, schrieben konsterniert von "Dammbruch" und "Blamage". Der Autor Robert Menasse kommentierte, der Pakt mit einer völkischen Partei sei ein Verrat: "Mikl-Leitner wird sich davon nie wieder erholen."

Es sollte aber nur knapp zwei Monate dauern, bis die nächste schwarz-blaue Koalition auf Landesebene stand, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemand für möglich gehalten hatte. Der hochseriöse Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer, der immer als Vorzeige-Intellektueller der ÖVP galt, hatte sich vor der Landtagswahl noch höchst kritisch über die hetzerische Kampagne der FPÖ geäußert. Die "herabwürdigende Tonalität" von Parteichef Herbert Kickl lehne er ab. Nach der Wahl war die innere Abwehr offenbar nicht groß genug. Er habe, so Haslauer entschuldigend, "nie gesagt, dass ich die FPÖ bei Koalitionsverhandlungen ausschließe. Ich habe vor Kickls Politik gewarnt."

Nun regiert die ÖVP in Oberösterreich (seit 2015), in Niederösterreich (seit März 2023) und in Salzburg (seit Mai 2023) mit der FPÖ zusammen. Das kam zwar in St. Pölten und Salzburg aufgrund des handelnden politischen Personals durchaus überraschend, ist aber in der Sache nichts Ungewöhnliches. Die FPÖ, in der sich nach dem Krieg viele ehemalige Nazis versammelten, gehört seit Jahrzehnten zum politischen Spektrum des Landes und deckt den äußersten, rechten Rand ab. In den 1970er-Jahren ließ sich sogar der legendäre SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky von der FPÖ tolerieren, sein Nachfolger Fred Sinowatz formte eine erste rot-blaue Koalition im Bund.

Im Jahr 2000 paktierte ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, dessen Partei bei der Parlamentswahl nur dritte geworden war, mit der FPÖ von Jörg Haider und ließ sich von den Rechtspopulisten zum Kanzler wählen. Die schwarz-blaue Koalition überdauerte Parteispaltungen und Führungswechsel bei den Freiheitlichen und hielt bis 2006. Die nächste Auflage folgte unter dem jungen Politikstar Sebastian Kurz, der 2017 mit der FPÖ koalierte - bis der Ibiza-Skandal über den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, über Kurz und die Koalition hereinbrach.

Strache musste gehen, Herbert Kickl, sein Generalsekretär, Redenschreiber, ursprünglich ein Mann der zweiten Reihe, übernahm, radikalisierte die Partei während der Pandemie und wurde der unbestrittene Chef und Einpeitscher. Er nannte Bundespräsident Van der Bellen "den größten Demokratie- und Staatsgefährder", empfahl gegen Covid ein Entwurmungsmittel für Pferde und pflegt die Zusammenarbeit mit Identitären und Neonazis. Er zeiht die Grünen des "Klima-Kommunismus" und der "Geisteskrankheit", fordert "null Zuwanderung" - und preist die FPÖ als "Allianz gegen die Verrückten". Politikwissenschaftler ordnen die Partei schon seit Jahren als rechtsextremistisch und fremdenfeindlich ein, als homophob, rassistisch und nationalistisch.

Die SPÖ lehnt unter ihrem neuen Vorsitzenden Andreas Babler jede Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ab. Für Babler ist das ein "No-Go". Die kognitive Dissonanz bei der ÖVP gegenüber Bündnissen mit den Freiheitlichen samt der jüngsten politischen Volten wird hingegen, offiziell, sowohl in den Ländern wie auch im Bund mit der Person Kickl begründet. Denn tatsächlich gibt es und gab es nie eine Brandmauer zur FPÖ. Es steht - vorläufig zumindest - eine Brandmauer gegenüber dem FPÖ- Vorsitzenden.

Auch der jetzige ÖVP-Kanzler hält eine Koalition mit der FPÖ für "durchaus vorstellbar"

Wieder und wieder, schreibt die Journalistin Anneliese Rohrer in der Tageszeitung Die Presse, hätten die Konservativen betont, dass sie mit der FPÖ unter Kickl nie zusammenarbeiten würden. Aber der habe eben "absolut recht", wenn er voraussage, spätestens nach einer Niederlage bei der Nationalratswahl 2024 werde die ÖVP ihre eigenen Versprechen kassieren und mit der FPÖ auch im Bund koalieren, um nicht in die Opposition zu müssen.

Österreichs Bundeskanzler wollte in einem ORF-Interview zuletzt sogar Wetten annehmen, dass es im kommenden Jahr keine Koalition mit den Rechtspopulisten geben werde, solange Kickl Parteichef sei. Dieser sei ein "Sicherheitsrisiko", mit ihm sei "kein Staat zu machen", so Karl Nehammer an anderer Stelle. Aber auch die Argumentation des ÖVP-Kanzlers hängt an der Person, nicht an den Inhalten: Es sei ja, so Nehammer, "durchaus vorstellbar", dass sich die FPÖ von Kickl trenne. "Die Person allein ist ja nicht die Partei."

Derzeit liegt die FPÖ, unter Kickl und vier Jahre nach der Ibiza-Affäre, in allen Umfragen bei 30 Prozent und damit ganz vorn. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Vorsitzenden austauscht, damit Nehammer sein Wort halten kann, tendiert daher gegen null.

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