Ökumenischer Kirchentag:"Wir wollen hinschauen"

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Ein Riesen-Tisch und ein Riesen-Stuhl sind als Teil einer Installation vor der Frankfurter Hauptwache ein besonderes Zeichen des 3. Ökumenischen Kirchentags (ÖKT). Die gastgebenden Kirchen wollen damit zum Perspektivwechsel einladen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Welches gesellschaftliche Signal kann vom Ökumenischen Kirchentag ausgehen, der in Frankfurt, aber vor allem im Internet stattfindet? Die Deutungshoheit haben die Kirchen nicht mehr - aber das muss gar nicht schlecht sein.

Von Annette Zoch, München

Das Bild war ein bisschen unglücklich gewählt: Für den Fototermin zum Auftakt des 3. Ökumenischen Kirchentags nahmen der Limburger Bischof Georg Bätzing und der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, Volker Jung, an einem überdimensionierten blauen Tisch Platz. Die Installation vor der Frankfurter Hauptwache soll an den Himmel erinnern, wenn einmal alle gemeinsam am Tisch des Herrn sitzen. Mit dem diesseitigen Blick aber sah man vor allem zwei Kirchenmänner, die wie kleine Kinder mit den Beinen baumeln und kaum über die Tischplatte linsen können. Frei nach dem 80er-Jahre-Kinohit: Liebling, wir haben die Kirche geschrumpft?

Geschrumpft ist auch der Ökumenische Kirchentag, diese Großveranstaltung der evangelischen und katholischen Laien. Die Corona-Pandemie zwingt den ÖKT ins Internet. Viele Gespräche, Podien und Bibelarbeiten wurden in einem Studio vorproduziert und können ab Samstag auf der Homepage des ÖKT abgerufen werden. In Präsenz und nur nach Voranmeldung zu besuchen sind hingegen nur die konfessionellen Gottesdienste an diesem Samstagabend sowie der Schlussgottesdienst am Sonntag. Der Livestream des Eröffnungsgottesdienstes an Christi Himmelfahrt, übertragen von einem Parkdeck über den Dächern Frankfurts, brach wegen einer technischen Panne zusammen. "Es war für uns der erste voll digitale Gottesdienst", entschuldigte sich Kirchentagspräsidentin Bettina Limperg am Freitag. "Jetzt sollten die Server stabil sein."

Kaum zu glauben, nach einem Jahr Pandemie. Viele stellen sich die Frage, welches gesellschaftliche Signal überhaupt noch von einem solchen Kirchentag ausgehen kann. Kritiker warfen den Kirchen immer wieder vor, sich in einer der größten Menschheitskrisen der Nachkriegsgeschichte in erster Linie mit Hygienekonzepten befasst zu haben - und sonst vollends mit den eigenen Problemen beschäftigt zu sein.

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Zurückhaltend in der Pandemie

Tatsächlich hätten die Kirchen darauf verzichtet, als die große umfassende Deutungsinstanz in der Pandemie aufzutreten, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster. "Dahinter steht auch eine theologische Verunsicherung - oder ein theologischer Reflexionsgewinn, wie man will. Die Kirchen akzeptieren - um es mit dem Philosophen Charles Taylor zu sagen - den immanenten Rahmen des modernen Weltverständnisses." Das heißt: Um die Menschen erreichen zu können, beanspruchten sie nicht mehr einen überlegenen Standpunkt, sondern stellten sich neben die anderen Weltdeutungsangebote aus der Medizin, dem Recht oder der Politik, so Pollack. "Was dann aber auch die Frage aufwirft: Was vermögen sie diesen Deutungsangeboten noch hinzuzufügen?"

Erwähnenswert findet Pollack in diesem Zusammenhang das Motto des ÖKT, "Schaut hin". Es ist dem Markusevangelium entnommen, der Speisung der Fünftausend. Jesus fordert da seine Jünger auf, hinzuschauen, wie viele Brote die hungrig gewordene Menge dabei hat: "Da ist nicht die Rede von Gott, sondern mit dem biblischen Jesus sagt die Kirche: Schaut hin", sagt Pollack. "Für mich stellt sich das so dar, als ob die Kirchen nicht mehr beanspruchen, mit den Augen Gottes auf den Menschen zu schauen, sondern mit den Menschen auf die Welt."

"Wir wollen hinschauen", sagt auch Kirchentagspräsidentin Limperg. "Dahin, wo es wehtut, dahin, wo wir heilen können und dahin, wo wir handeln können." Das Leitwort sei auch ein Leitwort für die Krise: "Wir sind überzeugt: Gerade jetzt ist der 3. ÖKT als Kirchentag von höchster Relevanz." Inhaltlich will sich der Kirchentag - neben innerkirchlichen Themen wie Mahlverständnis oder Segensfeiern auch mit Gesellschaftspolitik beschäftigen: dem Klimawandel, Hate Speech, Sterbehilfe oder den Folgen der Corona-Pandemie.

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Nur 100 statt geplanter 2000 Veranstaltungen

Hinschauen wollen Katholiken und Protestanten auch in den eigenen Abgrund: den Missbrauchsskandal in beiden Kirchen. Das Programm habe von 2000 auf 100 Veranstaltungen reduziert werden müssen, in zwei Veranstaltung komme es aber vor, sagten die Kirchentagspräsidenten Bettina Limperg und Thomas Sternberg. Frère Alois, Prior der Taizé-Kommunität, hatte zuvor dazu aufgerufen, auf die Stimmen der Betroffenen zu hören.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt auf ein "Signal der Ermutigung", das vom ÖKT ausgehen solle. "Wir brauchen die Kirchen, wir brauchen engagierte Christinnen und Christen, gerade in dieser Zeit", sagte er in einer am Freitagabend ausgestrahlten Videobotschaft. "Ich sehe mit Sorge, dass die Auseinandersetzungen in unserem Land mit immer größerer Erbitterung geführt werden." Christen könnten zeigen, dass "geduldiges Zuhören, vernünftiges Argumentieren, gemeinsame Wahrheitssuche möglich sind, ja, wichtiger denn je sind".

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