In der CDU hat eine Debatte darüber begonnen, ob die Partei sich nicht doch für Corona-Bonds aussprechen sollte. Am Dienstag kritisierten zum ersten Mal prominente Christdemokraten den vehementen Widerstand der Bundesregierung gegen derartige gemeinschaftliche europäische Anleihen.
Der langjährige Bundestagspräsident und heutige Vorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass Deutschland "eine gemeinsame europäische Anleihe kategorisch verweigert, richtet längst politisch mehr Schaden an als an ökonomischen Entlastungen zu erwarten ist". Mit Blick auf "die extreme Ausnahmesituation und die wachsende Verzweiflung in wichtigen Partnerländern" sei "der Eindruck einer limitierten Solidarität ökonomisch ebenso riskant wie er humanitär schwer erträglich ist". Viele Einwände gegen Euro-Bonds seien zwar "prinzipiell berechtigt", auffällig sei "allerdings, dass es auch in Deutschland inzwischen prominente Stimmen aus Politik und Wirtschaft gibt, die in dieser Situation eine sachlich und zeitlich befristete Anleihe befürworten".
Norbert Lammert warnt vor dem "Eindruck einer limitierten Solidarität"
Lammert verwies darauf, dass die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Alternativen zu Corona-Bonds "eine ähnliche, wenn nicht gleiche gemeinsame Haftung nach sich ziehen" würden wie die von vielen anderen EU-Staaten geforderten Corona-Bonds. Auf die Frage, warum die Kanzlerin und seine Partei diese Bonds trotzdem ablehnen, sagte Lammert: "Es geht hier wohl auch um den sehr menschlichen Effekt, dass man einmal bezogene Positionen nur ungern revidiert."
"Aufgeklärte und entschlossene Europäer wie Helmut Kohl würden in einer offenkundigen Notlage wie dieser vermutlich für einen sachlich und zeitlich befristeten Finanzierungsmechanismus werben, der den berechtigten politischen wie ökonomischen Erwartungen gerecht wird", sagte Lammert. Und es würde ihn "überhaupt nicht wundern, wenn auch Angela Merkel spätestens nach der Übernahme des Ratsvorsitzes in der Europäischen Union dafür einträte, wenn es für ein solches Signal dann nicht schon zu spät ist". Die deutsche Ratspräsidentschaft in der EU beginnt am 1. Juli.
Der Vorsitzende der Adenauer-Stiftung beklagte, dass die Auseinandersetzung über Corona-Bonds drohe, "zu einem Glaubenskrieg der entschiedenen Befürworter wie Gegner zu werden". Das "einzige absehbare und nachhaltige Ergebnis" dieser Auseinandersetzung sei "die weitere Schwächung der europäischen Staatengemeinschaft, die gerade jetzt nichts dringender braucht als ein überzeugendes Signal einer gemeinsamen Kraftanstrengung".
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen, ging auf Distanz zum Kurs seiner Partei. Röttgen, der für den CDU-Vorsitz kandidiert, twitterte: "Das kategorische Nein zu Coronabonds ist ökonomisch gut begründet, aber emotional fatal." Deutschland könne "diese Lösung zwar ablehnen", aber es müsse mehr tun, als nur auf den bereits bestehenden Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu verweisen. Es brauche "ein klares Signal, dass auch nach der Krise in Europa niemand alleine gelassen wird".