Niger:"Wir müssen zurückbeißen"

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Unruhen vor dem Parlament in Nigers Hauptstadt Niamey am Sonntag. (Foto: -/AFP)

Nach dem Umsturz in Niger verhängt der Westen massive Sanktionen gegen das Militär, die westafrikanische Staatengemeinschaft droht gar mit Krieg. Kann man einen Putsch rückgängig machen?

Von Paul Munzinger, Kapstadt

Historisch betrachtet war der Putsch in Niger vergangenen Mittwoch kein außergewöhnliches Ereignis. Die Sahel-Zone hat ihren Ruf als Afrikas "Putschgürtel" in den vergangenen Jahren mehr als bestätigt. Doch außergewöhnlich ist die Reaktion des Auslands: außergewöhnlich scharf. Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas beschloss am Sonntag, alle Landgrenzen zu Niger zu schließen, den Luftraum abzuriegeln, Finanzströme zu stoppen und Vermögenswerte einzufrieren. Und sie drohte den Putschisten mit einer militärischen Intervention.

Sollten die neuen Machthaber den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum nicht innerhalb einer Woche freilassen und wieder einsetzen, teilte Ecowas nach einer Sondersitzung in Nigerias Hauptstadt Abuja mit, werde man alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die verfassungsgemäße Ordnung im Land wiederherzustellen. Diese Maßnahmen könnten auch den Einsatz von Gewalt einschließen.

Warum ist der Druck auf die Putschisten dieses Mal so massiv?

Die EU, die USA und Großbritannien schlossen sich der Ecowas-Erklärung am Montag ausdrücklich an. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor selbst gedroht, dass jeder Angriff auf französische Staatsbürger oder französische Interessen in Niger eine "sofortige und kompromisslose Reaktion" nach sich ziehen werde.

Dass der Westen so massiv Druck ausübt, liegt an der großen strategischen Bedeutung Nigers: Das Land war bislang der letzte verbliebene Partner Europas und der USA in der Region. Frankreich hat nach dem Abzug aus Mali etwa 1500 Soldaten in Niger stationiert und bezieht einen erheblichen Teil seines Urans von dort. Zudem hindert Niger im Auftrag Europas Migranten an der Weiterreise Richtung Mittelmeer.

Aus afrikanischer Sicht ist die Sache komplizierter. Dass Ecowas (das Akronym steht für Economic Community of West African States) Sanktionen in den eigenen Reihen verhängt, ist keine Ausnahme. Bei der Sondersitzung in Abuja waren nur zwölf der 15 Mitgliedstaaten vertreten, Burkina Faso, Guinea und Mali sind derzeit suspendiert. In den drei Ländern hatte es zuvor Militärputsche gegeben - 2020, 2021 und 2022 -, die Ecowas mit ähnlichen Worten verurteilte wie nun den Umsturz in Niger. Doch mit einer Intervention drohte die Gruppe in keinem der Fälle.

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Eigentlich sollen die deutschen Soldaten das westafrikanische Mali verlassen. Doch der Abzug wird über das benachbarte Niger organisiert - wo sich soeben das Militär an die Macht geputscht hat.

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"Die Reaktion auf den Putsch in Niger ist schon ungewöhnlich"

"Ecowas hat sich in den letzten Jahren den Ruf erworben, sehr beherzt gegen Putsche vorzugehen", sagt Matthias Basedau, Leiter des Giga-Instituts für Afrika-Studien in Hamburg. "Doch die Reaktion auf den Putsch in Niger ist schon ungewöhnlich." Womöglich habe die schiere Häufung der Fälle die Gruppe davon überzeugt, dieses Mal sogar mit Krieg zu drohen, sagt Basedau - nicht zuletzt aus Eigennutz. Denn je öfter das Militär die Macht an sich reißt und damit durchkommt, desto mehr müssen die zivilen Regierungen der Region um ihr Überleben fürchten.

Denkbar ist auch, dass ein Wechsel an der Ecowas-Spitze den Ton verschärft. Chef der Gruppe ist seit wenigen Wochen Nigerias neuer Präsident Bola Tinubu. In seiner Antrittsrede hatte Tinubu gefordert, die Demokratien dürften nicht wie "zahnlose Bulldoggen" herumsitzen, wenn sie bedroht werden: "Wir müssen zurückbeißen."

Nach den Putschen in Burkina Faso, Guinea und Mali biss Ecowas nicht zurück. In Gambia schon. 2017 weigerte sich der dortige Langzeitpräsident Yahya Jammeh abzutreten, obwohl er die Wahl verloren hatte. Ecowas entsandte daraufhin 4000 Soldaten ins Land, die dem heutigen Präsidenten Adama Barrow ins Amt verhalfen.

Noch könnten die Putschisten in Niger einlenken

Ein Vorbild für eine afrikanische Intervention in Niger gäbe es also. Doch das Risiko einer Eskalation wäre groß, warnt Matthias Basedau - vor allem, wenn sich französische oder andere westliche Truppen anschlössen. Die ehemalige Kolonialmacht ist für viele in der Region zum Feindbild geworden. In Niamey griffen am Sonntag Anhänger der Putschisten die französische Botschaft an. Das Militär beschuldigt die von ihr abgesetzte Regierung, einer französischen Intervention bereits zugestimmt zu haben.

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Noch könnten die Putschisten in Niger einlenken. Um Vermittlung bemüht sich im Auftrag von Ecowas derzeit Tschads Machthaber Mahamat Idriss Déby Itno, der am Sonntag Niamey besuchte und auch mit Mohamed Bazoum sprach. Ein Foto davon postete er hinterher bei Twitter, es ist das erste Bild, das den abgesetzten Präsidenten seit seiner Gefangennahme zeigt.

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Doch ist es realistisch, dass sich das Militär dem Druck beugt? Ja, glaubt Matthias Basedau: "Die Möglichkeit, den Putsch zurückzudrehen, ist vorhanden." Dass Putsche scheitern, passiert immer wieder, zumal in Afrika - zum Beispiel 2021 in Niger. Doch wenn Putsche scheitern, scheitern sie in der Regel schnell. Mit jedem Tag, den sich die Militärs in Niger an der Macht halten, wird es unwahrscheinlicher, dass sie sie wieder aus der Hand geben.

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