Westafrika:Nigers Putsch und Russlands Chance

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Unterstützer des Militärs in Niger bejubelten den Putsch in der Hauptstadt Niamey. "Russland, Russland", skandierten einige. Ob das die Haltung der Bevölkerung widerspiegelt, ist unklar. (Foto: AFP)

Das Militär in Niamey hat die gewählte Regierung abgesetzt, der Chef der Söldnergruppe Wagner ist erfreut. Wird sich das Land nun Moskau zuwenden?

Von Paul Munzinger, Kapstadt

Wie viele Militärputsche er in Niger schon miterlebt hat? Bétou Bizo, 48 Jahre alt, muss kurz nachdenken, durchs Telefon hört man ihn Namen und Zahlen murmeln. "Vier", sagt er dann. "Das gestern war mein vierter." Doch man gewöhne sich nie daran, sagt Bizo. Zumal der Putsch am Mittwoch, der das Ende der Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum bedeutete, sich nicht angekündigt habe. "Es gab keine Anzeichen, dass so etwas passieren würde."

Bizo arbeitet für die Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas in Niger, seit mehr als 20 Jahren lebt er in der Hauptstadt Niamey. Im Fernsehen habe er gesehen, dass Anhänger der Putschisten am Donnerstag in den Straßen randalierten und das Hauptquartier der entmachteten Regierungspartei in Brand steckten. Doch als er am Abend einkaufen war, sei alles ruhig gewesen. "Wie immer", sagt Bizo.

Die einen freuen sich über den Putsch, die anderen trauern dem Präsidenten nach

Die Stimmung in Niamey sei gemischt. Die einen freuten sich über den Putsch. Die anderen trauerten dem gestürzten Präsidenten nach und hätten Angst, was kommt. Und er? Er wisse es nicht, sagt Bizo am Freitagmorgen. Die Putschisten hätten kein Programm vorgelegt. Keinen Plan, was sie wollen und wohin es gehen soll mit dem Land. "Wir wissen nicht, woran wir sind", sagt Bizo. Und damit geht es ihm zu diesem Zeitpunkt so wie den Regierungen in Washington, Berlin oder Paris.

Ein paar Stunden später ist die Lage schon klarer. Denn im Staatsfernsehen meldet sich am Freitagmittag der Mann zu Wort, der schon seit dem Vortag als Drahtzieher des Putsches gehandelt wurde, aber bislang nicht in Erscheinung getreten war: General Omar Tchiani, Präsident des neu gebildeten Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes (CNSP). Als am Mittwochabend zehn Soldaten im Staatsfernsehen erklärten, dem "Regime" Bazoums ein Ende gesetzt zu haben, da hatte Tchiani sich noch im Hintergrund gehalten. 2011 war er zum Chef der Präsidentengarde ernannt worden. Nun soll Bazoum geplant haben, ihn abzusetzen - so berichtet es unter anderem das französische Nachrichtenportal France 24.

Tchiani spricht länger und staatstragender als am Mittwochabend Oberst Amadou Abdramane, der Mann in der blauen Uniform. Doch der Kern seiner Aussagen ist der gleiche: Als Hauptgrund für die Absetzung Bazoums nennt er die schlechte Sicherheitslage. Trotz "großer Opfer" durch die nigrische Bevölkerung sei es der Regierung nicht gelungen, das Land vor den Terroristen zu beschützen. Der "Islamische Staat in Westafrika" und andere Gruppen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Anschläge mit Hunderten Toten verübt. Die harte Wahrheit, sagt Tchiani, seien "viele Tote und Vertriebene, Erniedrigung und Frust".

Im Westen ist die Sorge groß, dass Niger den gleichen Weg geht wie Mali

Tchiani kündigt an, den Kampf gegen den Terror verstärken zu wollen. Die Frage, die viele westliche Regierungen seit dem Putsch umtreibt, lautet: wie? Oder besser: mit wem? In Europa und den USA ist die Sorge groß, dass Niger nun den Weg einschlagen wird, den das Nachbarland Mali gegangen ist. Nach dem dortigen Militärputsch 2021 vollzog die neue Führung eine Abkehr von Europa und den USA und erwählte die russische Söldnergruppe Wagner als neuen Partner im Kampf gegen den Terror. Etwa tausend Wagner-Leute sollen im Land sein. Ihnen werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Morde an Zivilisten zur Last gelegt.

Die US-Regierung teilte am Donnerstag mit, dass es keine Hinweise auf russische Beteiligung am Putsch in Niger gebe. Doch dass Wagner und sein Chef Jewgenij Prigoschin eine Einladung nach Niger ablehnen würden, ist nicht zu erwarten. Das Land passt mit seinen reichen Uranvorkommen ins Beuteschema der Söldner, die sich ihre Dienste vornehmlich in Rohstoffen entlohnen lassen. Russlands Einflussbereich in Afrika würde sich weiter ausdehnen, während der Westen den nächsten Verbündeten verlöre. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge begrüßte Prigoschin den Putsch in Niamey einer Audiobotschaft als "Kampf des Volkes in Niger gegen Kolonisatoren".

Demonstranten skandieren "Russland, Russland" - aber sind sie in der Mehrheit?

Videoaufnahmen von Demonstranten in Niamey, die russische Fahnen hochhalten und "Russland, Russland" skandieren, gibt es einige seit Mittwoch. Doch ob das auch die Stimmungslage der Putschisten widerspiegelt, ist noch unklar. General Tchiani sagte in seiner Ansprache, die "Unterstützung unserer auswärtigen Partner" - also offenbar der EU und der USA - sei anerkennenswert und werde auch anerkannt. Doch das kann natürlich Taktik sein: Die EU forderte die Putschisten am Freitag auf, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren und die Sicherheit des gestürzten Präsidenten zu garantieren. Andernfalls drohte sie mit einem dauerhaften Stopp von Hilfszahlungen.

Mano Aghali jedenfalls glaubt nicht, dass die neuen Machthaber sich vom Westen abwenden. "Sie werden keine 180-Grad-Wende hinlegen", sagt er. Der nigrische Politiker kennt nach eigener Aussage einige der Militärs persönlich, die am Mittwochabend im Fernsehen zu sehen waren. Da seien "guten Leute" dabei, sagt er am Telefon. Und auch den abgesetzten Präsidenten Bazoum kennt er seit Jahrzehnten. Als er in den Achtzigerjahren in der Stadt Tahoua aufs Gymnasium ging, war Bazoum sein Philosophielehrer. "Ihm verdanke ich mein Abitur", sagt Aghali. Später saßen sie gemeinsam im Kabinett. Von 2013 bis 2016 war Aghali Nigers Gesundheitsminister.

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Ihn habe der Putsch nicht überrascht, sagt Aghali. "Viele Menschen haben ihn sich gewünscht." Die Situation des Landes sei nicht gut, nicht nur wegen der Sicherheitslage. Tatsächlich hatte Bazoum, der vielen im Westen als guter Demokrat gilt, auch in der Zivilgesellschaft viele Kritiker. Ihm wird vorgeworfen, dass er Korruption nicht bekämpft und die Opposition drangsaliert habe.

"Dieser Putsch war eine Intervention der Militärs gegen die Regierung Bazoum, nicht gegen den Westen", sagt Aghali. Ob sie sich jetzt mit Russland verbrüdern, Wagner-Söldner ins Land holen? "Nein", sagt er. "Das glaube ich nicht." Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob er Recht behält.

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