Hat Ecowas nur geblufft? Eine Woche hatte die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft den Putschisten in Niger gegeben, um die Macht wieder an die demokratisch gewählte Regierung abzutreten. Ansonsten drohte sie Konsequenzen an - Waffengewalt eingeschlossen. Die Frist endete am Sonntag. Und es geschah: nichts. Von Ecowas gab es zunächst weder eine Kriegs- noch sonst irgendeine Erklärung. Am Montagnachmittag teilte die Organisation dann lediglich mit, dass am Donnerstag die nächste Sondersitzung in Nigerias Hauptstadt Abuja stattfindet.
Dieses Schweigen scheint auf den ersten Blick diejenigen zu bestätigen, die von Anfang an glaubten, dass Ecowas eine leere Drohung ausgesprochen habe. Die Gruppe hat zwar schon Militäreinsätze durchgeführt - zuletzt 2017 in Gambia -, doch eine Intervention in Niger wäre ungleich riskanter. Das Land ist dreieinhalbmal so groß wie Deutschland (und mehr als 100 Mal so groß wie Gambia). Und es erhielte womöglich Verstärkung von seinen Nachbarn Mali und Burkina Faso, die der Junta in Niger Waffenhilfe im Fall eines Angriffs versprochen haben.
Die Bulldogge wollte "zurückbeißen" - bleibt sie nun doch zahnlos?
Wer ein Ultimatum setzt und es dann verstreichen lässt, geht das Risiko ein, ein Signal der Schwäche zu senden. Also genau das Gegenteil dessen, was Ecowas eigentlich wollte. Nach drei Putschen in Mali, Burkina Faso und Guinea wollte die Staatengruppe demonstrieren, dass sie eine weitere abgesetzte Regierung nicht einfach hinnimmt "wie eine zahnlose Bulldogge", so die Forderung von Nigerias Präsident Bola Tinubu. Ecowas sollte "zurückbeißen". Erweist sich die Gruppe nun doch als zahnlos?
Für derartige Bewertungen sei es zu früh, sagt Djiby Sow vom Institute for Security Studies in Dakar, Senegal. Ecowas habe nie gesagt, dass mit dem Ende des Ultimatums die Intervention beginne. Die Gruppe habe angekündigt, in diesem Fall die notwendigen Mittel zu ergreifen, um die gewählte Regierung in Niger wieder einzusetzen. Welche das seien und ob dazu auch Gewalt gehöre, lote Ecowas nun bis zum Treffen am Donnerstag aus. Zwei Tage später, am Samstag, endet ein zweites Ultimatum an die Putschisten - von der Afrikanischen Union: "Wie durchsetzungsfähig Ecowas ist, wird sich am Ende der Woche zeigen", sagt Sow.
Dass die westafrikanischen Staaten sich die Entscheidung nicht leicht machten, findet Sow richtig. Ihr Bedürfnis, ein Zeichen an die Putschisten - und an potenzielle Nachahmer im eigenen Land - zu senden, sei nachvollziehbar. Doch das Risiko, die ganze Region in einen Krieg zu stürzen, sei real. Die Ankündigung Malis und Burkina Fasos, Niger militärisch beizuspringen, halte er für glaubwürdig. Entschließt sich Ecowas, gegen die Putschisten in einem Land vorzugehen, könnten sich die Putschisten in den Nachbarländern auch nicht mehr sicher fühlen.
Auch eine militärisch erfolgreiche Intervention stünde vor einem Problem
Wie viel Mali und Burkina Faso zur Verteidigung Nigers gegen eine Intervention allerdings beitragen könnten, ist eine andere Frage. Ihre Armeen müssten die Grenzregion der drei Länder durchqueren, in der es vor Terroristen und Banditen wimmelt. Auch deshalb sollte man die militärische Herausforderung einer Intervention in Niger nicht übertreiben, sagt Sow. Ja, das Land sei groß - aber die Hauptstadt Niamey gerade einmal 200 Kilometer von der Grenze zu Nigeria entfernt. Von jenem 225-Millionen-Einwohner-Koloss also, der bei einem Einmarsch die meisten Soldaten stellen müsste.
Viel gewichtiger in der Risikoabwägung ist aus Sicht Sows ein anderer Faktor: Ob sich durch Waffengewalt das ausgegebene Ziel erreichen lässt. "Ecowas muss sich fragen: Wäre ein nach einer militärischen Intervention wieder eingesetzter Präsident Bazoum überhaupt in der Lage, Niger ohne die Hilfe ausländischer Truppen im Land zu regieren?", sagt Sow. Das erscheint zunehmend unwahrscheinlich - und das liegt nicht zuletzt am Ecowas-Ultimatum, das den Putschisten in Niger viele Anhänger zugetrieben hat, die ihnen zunächst mindestens skeptisch gegenüberstanden.
Alle Nachrichten im Überblick:SZ am Morgen & Abend Newsletter
Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.
Ecowas tut nun beides: Die Gruppe bereitet einen Einmarsch vor und bemüht sich gleichzeitig noch immer um eine diplomatische Lösung - angestoßen auch durch Nigerias Parlament, das den zu einer harten Reaktion entschlossenen Präsidenten Tinubu am Wochenende per Resolution einbremste. Die Frage ist nur: Wie könnte ein Kompromiss aussehen, wenn die eine Seite die Selbstauflösung der anderen fordert?
Alle bisherigen Vermittlungsversuche scheiterten. Und auch Djiby Sow fällt es schwer, sich eine Mitte vorzustellen, auf die sich beide Seiten zubewegen könnten. Doch zumindest ein möglicher Anfang fällt ihm ein: ein von den Putschisten moderierter und von Ecowas überwachter Übergang, der in naher Zukunft in Wahlen mündet. Nigers Putschgeneral Abdourahmane Tchiani hat eine entsprechende Bereitschaft angedeutet. Doch das haben andere angebliche Übergangsregenten auch - und die Macht dann nie wieder hergegeben.