Die 16 Justizministerinnen und Justizminister der Bundesländer stehen an diesem Donnerstag vor einer der schwierigsten Aufgaben seit Jahrzehnten: Sie müssen die Sicherungsverwahrung völlig neu regeln und organisieren. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) präsentiert dazu der Sonder-Justizministerkonferenz in Magdeburg ein Gesamtkonzept.
Dieses zwölfseitige Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, versucht, das fundamentale Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai akkurat umzusetzen: Sicherungsverwahrung darf künftig nur noch bei hochgradiger Gefahr gegen psychisch gestörte Täter verhängt werden; und sie darf nicht mehr nachträglich angeordnet werden, sie muss also schon im Strafurteil ausgesprochen oder dort dem Täter zumindest als möglich angekündigt werden.
Für "Altfälle", bei denen seinerzeit die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet wurde, sollen Sondervorschriften gelten. Diese Personen können zum Schutz der Allgemeinheit verwahrt bleiben, wenn bei ihnen "eine psychische Störung vorliegt" und "aus konkreten Umständen" oder ihrem Verhalten "eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist", dass sie "infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen" werden. Das gilt auch für solche Täter, die noch zu einer Zeit verurteilt worden sind, als für die Sicherungsverwahrung eine zehnjährige Höchstfrist galt. Diese Insassen wurden dann aber über diese Frist hinaus in Verwahrung behalten, als der Gesetzgeber die Frist aufhob.
Im Zentrum des neuen Rechts steht die "vorbehaltene Sicherungsverwahrung". Das heißt: Der Richter muss es sich künftig im Strafurteil vorbehalten, dass später noch darüber entschieden wird, ob Sicherungsverwahrung für die Zeit nach der Strafhaft verhängt wird. Nach dem alten, für verfassungswidrig erklärten Gesetz war es so, dass die Sicherungsverwahrung noch nachträglich, auch noch am letzten Tag der Strafhaft angeordnet werden konnte - praktisch auf unabsehbare Zeit. Der Gesetzgeber hatte von 1998 an die Sicherungsverwahrung ausgeweitet und verschärft, sie auch rückwirkend angewendet und die Höchstfrist von zehn Jahren aufgehoben. Er folgte dabei dem Motto des damaligen SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder: "Wegschließen, und zwar für immer."
Verfassungs- und menschenrechtswidrig
Zuerst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dann das Bundesverfassungsgericht hatten aber diese Gesetze weggeschlossen - und die erst nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung für verfassungs- und menschenrechtswidrig erklärt. Des Weiteren wurde von den höchsten Gerichten gefordert, dass sich die Sicherungsverwahrung auf das deutlichste von der Strafhaft unterscheiden muss. Man spricht von einem "Abstandsgebot".
Über letzteren Punkt sind sich die Justizminister schon weitgehend einig: In den neuen "Sicherungsverwahranstalten" müssen deutlich bessere Haftbedingungen herrschen als in den Gefängnissen. Die Pläne dafür folgen dem Motto: außen knusprig, innen saftig. Also: höchste Sicherheitsvorkehrungen nach außen, innen ein sehr offener Vollzug mit Therapie, sozialen Kontakten und allerlei Lockerungen.
Das Konzept der Bundesjustizministerin formuliert das so: Sicherungsverwahrung darf künftig nur in Einrichtungen vollzogen werden, "die eine realistische Perspektive dafür bieten, dass die Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit so weit wie möglich gemindert wird.
Ziel muss nach dem Urteil aus Karlsruhe sein, die Gefährlichkeit des Verurteilten bei günstigem Verlauf zu beseitigen oder jedenfalls so weit zu reduzieren, dass ihm eine realistische Entlassungsperspektive geboten werden kann". Sicherungsverwahrte sollen hinter Gittern so gut gesichert, behandelt und therapiert werden, dass die höchsten Richter Europas nicht noch einmal, wie schon geschehen, die Entlassung dieser Häftlinge wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention veranlassen.
Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, soll, so heißt es in Leutheusser-Schnarrenbergers Konzept, "vom Strafvollzug getrennt in besonderen Gebäuden oder Abteilungen" erfolgen. Dort soll "eine intensive", die "Mitwirkungsbereitschaft weckende und fördernde Betreuung" angeboten werden, "insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung". Sie hat das Ziel, die "Gefährlichkeit" des sicherungsverwahrten Menschen "für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann".
So soll es der künftige Paragraph 66 Absatz 1 des Strafgesetzbuches formulieren. Die Gerichte müssen künftig den therapieorientierten Vollzug der Sicherungsverwahrung jährlich, nach zehn Jahren halbjährlich, überprüfen. Wenn eine gesetzgemäße Betreuung nicht angeboten wird, soll der Richter der Vollzugsbehörde dafür eine Frist setzen; wenn diese Betreuung dann gleichwohl nicht stattfindet, muss die Sicherungsverwahrung als unverhältnismäßig aufgehoben werden.
Intensive Anleitung der Täter
Nicht erst während der Sicherungsverwahrung, sondern schon vorher (in der Strafhaft), soll der Täter intensiv angeleitet werden - um eventuell die anschließende Vollstreckung einer Sicherungsverwahrung entbehrlich zu machen. "Wenn dem Täter bei einer Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs ausreichende Betreuung nicht angeboten worden ist", so sieht es das geplante Recht vor, soll das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung für erledigt erklären.
Mit solchen Regelungen wird darauf gedrungen, dass hinter Gittern tatsächlich Besserungsmaßnahmen stattfinden - dass also Strafhaft und Sicherungsverwahrung nicht als eine Art Tiefkühlfach betrachtet werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird nicht nur im Erwachsenen-, sondern auch im Jugendstrafrecht abgeschafft; auch dort wird die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt.
Der Katalog mit den Straftaten, bei denen Sicherungsverwahrung verhängt werden kann, ist bereits in einem Gesetz formuliert worden, das zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist. Dort sind auch die sonstigen Voraussetzungen zur Verhängung geregelt. Leutheusser-Schnarrenberger ist nun der Meinung, dass dieses Gesetz spätere "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts" im Urteil vom 4. Mai 2011 schon vorweggenommen hat - und will diese Regeln daher weiterhin beibehalten.
Mit dem genannten Gesetz war die Sicherungsverwahrung im Wesentlichen auf Gewalt- und Sexualstraftäter beschränkt worden. Diebe, Betrüger und Urkundenfälscher dürfen seither nicht mehr in Sicherungsverwahrung genommen werden. Dabei soll es nun auch im Rahmen des neuen Gesamtkonzepts bleiben. Das Therapie-Unterbringungsgesetz soll ebenfalls weiterhin gelten: Mit ihm können Personen, die nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden sind, in der Psychiatrie untergebracht werden.