Neuer US-Präsident:Wie Trumps Berater Fake News verbreiten

Lesezeit: 5 Min.

Donald Trump hat den Sohn eines seiner Berater gefeuert. (Foto: AP)
  • Der 28-Jährige, der in einer Washingtoner Pizzeria Schüsse abfeuerte, wurde durch erfundene Gerüchte über ein Pädophilie-Netzwerk motiviert.
  • Berater von Bald-Präsident Trump hatten das Gerücht um Hillary Clintons Wahlkampfleiter in sozialen Netzwerken geteilt und ihm so Legitimität verliehen.
  • Der Sohn von Trumps Sicherheitsberater Flynn wurde von Trumps Transition-Team entlassen - er hatte genau wie sein Vater die Verschwörungstheorie verbreitet.

Von Matthias Kolb, Washington

Ein 28-Jähriger aus North Carolina marschiert in die Washingtoner Pizzeria "Comet Ping Pong". Der Mann heißt Edgar Maddison Welch, er ist mit einer Pistole und einem Sturmgewehr bewaffnet.

Seit einem Monat kursiert im Internet das Gerücht, Vertraute von Hillary Clinton betrieben vom "Comet" aus ein Pädophilie-Netzwerk. Auch Welch hat darüber gelesen. Am Sonntag fährt er sechs Stunden mit dem Auto, um zu prüfen, ob wirklich Kinder missbraucht werden. Er bedroht einen Angestellten und gibt mindestens einen Schuss ab. 45 Minuten sucht er nach dem Zugang zu einem Tunnel, von dem im Netz die Rede ist. Als er merkt, dass er keine "minderjährigen Sexsklaven retten" kann, lässt er sich verhaften; niemand wird verletzt. Welchs Aussage aus der Strafanzeige ( hier als PDF) macht klar: Fake News aus dem Internet waren der Grund dafür, dass ein schwer bewaffneter Mann am helllichten Tag in einem wohlhabenderen Viertel der US-Hauptstadt ein Restaurant betritt, in dem Familien Pizza essen.

"Dies könnte bald Normalität werden", schreibt Washington-Post-Kolumnist Dana Milbank. Milbank ist einer jener Trump-Kritiker, denen mit Lynchmord gedroht wird: Er erhält E-Mails, in denen "Strick, Baum, Journalist" steht. T-Shirts mit einem solchen Aufdruck können auch online bestellt werden.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Sohn eines Trump-Beraters wird gefeuert

Seit Wochen läuft unter dem einfallslosen Schlagwort #Pizzagate eine Schmutzkampagne - vor allem gegen Hillary Clinton. Aus mehreren Gründen verdient diese Story Aufmerksamkeit: Sie zeigt, dass es nahezu unmöglich ist, frei erfundene Schmutzkampagnen zu stoppen. Und sie illustriert, dass Berater und mögliche Spitzenkräfte der Regierung von Bald-Präsident Donald Trump solche Fake News verbreiten. Mit dem designierten Sicherheitsberater Michael Flynn hat ausgerechnet der Mann über das Gerücht getweetet, der bald enormen Einfluss auf die US-Geheimdienste und das Militär haben wird und Trump oft als Letzter vor sicherheitspolitischen Entscheidungen berät ( Details hier).

Trump selbst hat weder auf Twitter noch bei seinem abendlichen "Siegestour"-Auftritt in North Carolina den Vorfall kommentiert oder seine Millionen Fans zur Mäßigung aufgerufen. Flynns Sohn Michael junior wurde am Dienstag allerdings aus dem Transition-Team, das die Regierungsübernahme organisiert, geworfen. Während Vater Flynn seit seiner Nominierung zurückhaltend twittert, hatte der Sohn nach den Schüssen im Comet behauptet, die Lüge bleibe "eine Story" und sei noch nicht als "falsch" widerlegt worden.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Wie eine Lüge im Internet entsteht und wächst

Über die Schmutzkampagne rund um die Pizzeria "Comet Ping Pong" war schon Mitte November berichtet worden, auch die klärenden Artikel, etwa in der New York Times, die belegen, dass es sich um eine reine Verschwörungstheorie ohne jeden Beweis handelt, führten für Besitzer James Alefantis zu keiner Entspannung. Nun haben Buzzfeed News und die Washington Post nochmals nachrecherchiert, wie die #Pizzagate-Lüge aus dem Nichts geboren wurde.

Es beginnt am 28. Oktober mit dem Brief von FBI-Chef Comey, der neue Nachforschungen gegen Clinton wegen ihrer E-Mail-Server-Affäre ankündigt. Schnell wird klar: Auslöser sind Sexting-Ermittlungen gegen Anthony Weiner, den Ehemann der Clinton-Vertrauten Huma Abedin: Er hatte einer 15-Jährigen anstößige Nachrichten geschickt.

Am 30. Oktober verbreitet der Twitter-Account @DavidGoldbergNY einen Facebook-Post. Unter Berufung auf angebliche Quellen der New Yorker Polizei heißt es, dass Clinton im Zentrum eines internationalen Pädophilie-Rings stehe. Die Facebook-Nutzerin lebt in Missouri - und wie David Goldberg reagiert sie nicht auf Nachrichten des Buzzfeed-Autors. Der Tweet wird tausendfach verbreitet und findet seinen Weg auf andere Portale.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Der angebliche Kinderschänder-Ring taucht auf diversen Websites auf, etwa auf der Verschwörungsseite YourNewsWire.Com, und findet seinen Weg zu 4chan, einer Website, auf der jede Aussage und Meinung erlaubt ist. Auch ausländische Seiten, die mit erfundenen Trump-Storys viel Geld machen, übernehmen die Story und fügen neue Details hinzu. In aller Klarheit: Weder zu diesem Zeitpunkt und auch später nicht haben FBI, das New York Police Department oder eine andere Behörde auch nur etwas dazu gesagt.

Spätestens am 4. November ist #Pizzagate nicht mehr zu stoppen. Alex Jones von der sehr erfolgreichen ultrarechten Website Infowars.com spricht mehrfach von satanischen Ritualen, in die Clintons Wahlkampfleiter John Podesta verwickelt sei und wiederholt den Pädophilie-Vorwurf. Die Wahl steht kurz bevor, in einem Youtube-Video sagt Jones: "Hillary Clinton hat persönlich Kinder umgebracht und vergewaltigt. Ich muss mit der Wahrheit rausrücken."

Nach seinem Wahlsieg fand Trump übrigens Zeit, Alex Jones anzurufen und ihm zu danken ( mehr bei Politico) - im Wahlkampf lobte Trump Jones' "hervorragenden Ruf". Und natürlich hat auch Breitbart News, die ultrarechte Website von Trumps neuem Chef-Strategen Steven Bannon, ausführlich über Pizzagate berichtet.

Laut Washington Post taucht am 7. November #Pizzagate erstmals bei Twitter auf. Nach Recherchen von Jonathan Albright von der Elon University gibt es viele Retweets aus Tschechien: Offenbar helfen Bots bei der Verbreitung. Ungefähr zu dieser Zeit wird erstmals die "Comet Ping Pong"-Pizzeria in Verbindung mit dem erfundenen Kinderschänder-Netzwerk genannt. Warum? Aus den von Wikileaks publizierten E-Mails von Clinton-Wahlkampfchef Podesta geht hervor, dass dieser manchmal im "Comet" gegessen hat.

Dass "Comet"-Besitzer James Alefantis früher mit dem Journalisten David Brock liiert war ( Brock kämpft nun mit harten Bandagen für Clinton) und dort ein Spenden-Event stattfand, reicht der Online-Meute als Beleg. Im Laufe des Novembers werden sowohl Alefantis als auch die Eigentümer der umliegenden Lokale bedroht: Sie sollen den Kindesmissbrauch decken, immer häufiger ist von einem Tunnel die Rede. Am 27. November, nach Thanksgiving, stehen erstmals zwei Männer mit Protestschildern vor der Pizzeria.

Wegen Pizzagate gehen bei Comet-Besitzer Alefantis bis zu 150 Anrufe täglich ein, auch andere Gastronomen in der Gegend erhalten Todesdrohungen. Die Polizei sagt, dass sie nichts tun könne: Alle Aussagen und E-Mails seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Am Nachmittag des 4. Dezember betritt schließlich Edgar Welch die Pizzeria - bewaffnet.

Der Vorfall illustriert einen weiteren Aspekt, den Online-Verschwörungstheorien aufwerfen: das "false flag"-Phänomen. Der Begriff stammt aus der Militärsprache. In diesem Fall wird behauptet, der 28-jährige Welch sei ein Schauspieler, der mit seiner Aktion jene Websites diskreditieren sollte, die auch Fake News verbreiten ( mehr bei der Washington Post).

Mittlerweile steht #Pizzagate in manchen Ecken des Internets und Reddit-Subforen in einer Reihe mit dem Berliner Reichstagsbrand 1933, der Ermordung von John F. Kennedy, den Anschlägen von 9/11 oder dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule: Alles sei nur Inszenierung. Regierung und Großkonzerne sollen eingegriffen haben, um weiter Nachrichten zensieren zu können und - angeblich - die Bevölkerung für dumm zu verkaufen. So soll etwa eine Verkehrskamera entfernt worden sein, um nur ein Gerücht zu zitieren.

Umfrage: Mehrheit der Amerikaner fällt auf "Fake News" herein

Eine aktuelle Umfrage im Auftrag von Buzzfeed ergibt, dass drei Viertel der 3000 befragten US-Bürger auf Fake News hereinfallen ( Details hier). Obwohl sie informiert wurden, dass Schlagzeilen falsch sind, erinnern sich die Befragten an den Inhalt und bezeichnen sie als "teilweise wahr" oder "wahr". Ähnlich schockierend ist eine Umfrage der Huffington Post, die die Wirksamkeit des Factchecking in Frage stellt. 56 Prozent der Trump-Wähler sagen, dass sie weiter Trump glauben würden, auch wenn ein TV-Sender oder eine landesweit erscheinende Zeitung dessen Aussage als unwahr einstuft.

Und noch etwas bewirkt die Diskussion um #Pizzagate: Sie bringt die Erinnerung an bereits vergessene Ereignisse zurück. Ende November 2015 stürmte ein Mann in Colorado in eine Frauenklinik der Organisation Planned Parenthood. Der Grund: Er hatte im Internet die Texte einer konservativen Aktivistengruppe gelesen, wonach in diesen Kliniken "Babys zerteilt" würden. Dies habe er stoppen wollen.

Als ihn die Polizei überwältigte, waren drei Menschen tot.

Neuer US-Präsident
:Wie Twitter-Präsident Trump Themen setzt

Er lenkt ab, provoziert und startet am frühen Morgen Diskussionen: Auch nach dem Wahlsieg nutzt Donald Trump Twitter und treibt die Medien vor sich her. Wie sollen diese darauf reagieren?

Von Matthias Kolb, Washington

Update: Aus dem Gefängnis heraus hat Edgar Welch der New York Times ein Interview gegeben (hier nachzulesen). Darin sagt er unter anderem, dass er seine Tat bereut und ursprünglich nicht geplant hatte, bewaffnet in die Pizzeria zu gehen. Er hat nicht für Trump gestimmt - und er ist weiterhin nicht überzeugt, dass #Pizzagate nur eine Online-Erfindung ist.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: