Neue Regierung:Ministerriege für den Übergang

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Die neuen SPD-Kabinettsmitglieder formieren sich. (Foto: AFP)

Merkels viertes Kabinett bildet den Schlusspunkt ihrer Ära - und für die SPD wird sich entscheiden, ob die Wiederbelebung gelingt.

Kommentar von Kurt Kister

Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, ein Kabinett zu bilden. Die eine ist das Technokraten-Modell: möglichst viele Fachleute an die Spitze der Ministerien, die politisch von einer starken Kanzlerin oder einem durchsetzungsfähigen Ministerpräsidenten geführt werden. Dem steht das Proporz-Modell gegenüber: Das Kabinett soll nicht nur möglichst viele soziodemografische Faktoren widerspiegeln (Regionen, Geschlechter, Lebensalter etc.), sondern auch noch unterschiedliche politische Ausrichtungen innerhalb einer Partei und innerhalb einer Koalition.

Angela Merkels viertes Kabinett ist ein Proporz-Kabinett, in dem die eine oder der andere auch noch in ihrem oder seinem Fachbereich einigermaßen kompetent ist. Merkel steht dem Technokraten-Modell zwar eigentlich viel näher. Aber sie ist lange genug Kanzlerin, um zu wissen, dass das Proporz-Modell in einer so schwierigen Koalition wie in dieser letzten großen Koalition unter Merkel die einzige Möglichkeit ist.

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Eine Landespolitikerin aus Berlin-Neukölln, ein stets gut gelaunter Hesse, CSU-Chef Seehofer und der schärfste Kritiker der Kanzlerin: Merkels deutlich verjüngtes und weiblicheres Team für ihre vierte Regierung steht fest.

Ein Überblick von SZ-Autoren

Übrigens: Dass die CSU mit ihren drei Ministern Seehofer, Scheuer und Müller weder die Technokratie noch den Proporz berücksichtigt, ist bezeichnend. Interessant ist auch die irgendwie heimatverbundene Neigung in der CSU, durch Personalia alte Sprichwörter zu verifizieren: "Es kommt nichts Besseres nach" heißt auf Bayerisch, dass dem Verkehrsminister Dobrindt der Verkehrsminister Scheuer folgt.

Merkels CDU-Ministerriege besteht aus anderthalb Lagern

Die SPD hat sich mit ihrer Kabinettsliste etwa durch die Berufung des Außenministers Heiko Maas, der Umweltministerin Svenja Schulze oder der Familienministerin Franziska Giffey geradezu offensiv für das Proporz-Modell als Auswahlkriterium entschieden. Alle drei werden, um es positiv zu sagen, in ihren neuen Aufgaben viel zu lernen haben.

Sehr interessant wird werden, ob sich der Vizekanzler Olaf Scholz als Gegengewicht zu Merkel etablieren kann. Gleichzeitig muss er gemeinsam mit der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles die Wiederbelebung der SPD jenseits der 20-Prozent-Grenze schaffen. Der Verlauf dieser Legislaturperiode für die SPD-Kabinettsmitglieder, mehr aber noch für die Fraktion und die Partei insgesamt, wird darüber entscheiden, ob nach der Bundestagswahl 2021 die SPD zu den eher kleinen Parteien Grüne, AfD, Linke und FDP zu zählen ist.

Merkels CDU-Ministerriege besteht aus anderthalb Lagern. Das halbe Lager sind die Merkel-Loyalisten, allen voran der wackere Peter Altmaier. Das andere, ganze Lager besteht aus ein bisschen Proporz und ansonsten aus denen, die von sich selbst glauben, sie seien die Zukunft der CDU. Manche, wie der künftige Gesundheitsminister Spahn, tun das sehr laut. Eine andere, Annegret Kramp-Karrenbauer, der Merkel die Führung der Union zutraut, ist nicht einmal im Kabinett. Das kommt daher, dass Merkel selbst die Erfahrung gemacht hat, dass man als Generalsekretärin vieles in der Partei steuern kann.

Dieses Kabinett ist in vielerlei Hinsicht ein Übergangskabinett. Es bildet den Schlusspunkt der Ära Merkel; sein Erfolg oder Misserfolg wird über das Schicksal der SPD mit entscheiden; es muss Politik in einer Zeit machen, in der in Europa der Nationalismus wächst und in der Amerika als verlässlicher Partner vielleicht verlorengeht. Hoffentlich ist dieses Proporz-Kabinett wenigstens einem Teil der Aufgaben gewachsen.

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