Erkrankter Nawalny:Merkel demonstriert, dass sie Putin alles zutraut

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Beamte der Berliner Polizei laufen vor der Charité entlang. (Foto: dpa)

Der Fall Nawalny bestimmt mit über die künftigen Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen. Die Bundesregierung lässt den russischen Oppositionellen im Krankenhaus bewachen. Das ist ein deutliches Zeichen.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat eine giftige Substanz im Körper. Das ist das erste bekannte Ergebnis der Untersuchungen an der Berliner Charité. Damit ist die Ursache seines Zusammenbruchs in einem Flugzeug auf dem Weg von Sibirien nach Moskau wohl geklärt. Die Umstände und Hintergründe seiner Vergiftung allerdings sind es noch nicht. Da es aber sehr unwahrscheinlich erscheint, dass Nawalny sich eine Substanz von der Art, wie sie auch in dem chemischen Kampfstoff Sarin vorkommt, selbst verabreicht hat, spricht bei aller gebotenen Vorsicht doch vieles für den Schluss, dass Nawalny vergiftet wurde.

Die Berliner Ärzte verweisen in ihrer Presseerklärung darauf, dass sie die genaue Substanz noch nicht kennen und dass sie mehrere unabhängige Labore eingesetzt haben. Sie haben sich für die Bekanntgabe erster Ergebnisse mehr als zwei Tage Zeit gelassen. Die Ärzte der Charité tun gut daran, gründlich zu untersuchen und vorsichtig zu formulieren, allein schon, weil ihr Ergebnis das glatte Gegenteil dessen darstellt, was der Chefarzt des Krankenhauses in Omsk noch am Montag erklärt hat. Dort will man bei Nawalny keine giftige Substanz festgestellt haben.

Der Verdacht, dass es sich um einen gezielten Angriff auf den prominenten Oppositionellen gehandelt hat, lag von Anfang an nahe, sehr nahe. Doch die Ärzte der Charité sind keine kriminalistischen Ermittler. Sie können bestenfalls einen so eindeutigen Befund liefern, dass der Druck auf die russische Seite bis hinauf zu Wladimir Putin wächst, den Fall aufzuklären.

Darin liegt denn auch der politische Kern der ersten Berliner Diagnose zum Gesundheitszustand Nawalnys. Nun, da sich der Verdacht erhärtet hat, dass er Opfer eines gezielten Angriffs geworden ist, hängt an der Aufklärungsbereitschaft der russischen Behörden nicht nur die Suche nach den Tätern und den Verantwortlichen für einen versuchten Mord. Das Ausmaß der Bereitschaft, Angriffe auf das Leben unbequemer Oppositioneller nicht als Instrument der politischen Auseinandersetzung hinzunehmen, bestimmt auch mit über die Zukunft des deutsch-russischen Verhältnisses, ja der Beziehungen Moskaus zum Westen insgesamt.

Die Erfahrung mit Fällen der Vergangenheit gibt da wenig Anlass zu Optimismus. Politisch hat die Bundesregierung denn auch jenseits der ersten Diagnose der Charité ein ziemlich deutliches Zeichen gesetzt, indem sie Nawalny im Krankenhaus von Beamten des Bundeskriminalamtes bewachen lässt wie einen hochgefährdeten Staatsgast: Angela Merkel demonstriert Wladimir Putin damit, dass sie ihm alles zutraut.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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