Israelis und Palästinenser:Das Leben der Anderen

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Der Davidstern und die Worte "Das Volk Israel lebt" auf Hebräisch sind auf dieser verstaubten Heckscheibe eines Autos nahe der Siedlung Itamar im Westjordanland zu sehen. (Foto: Menahem Kahana/AFP)

Die israelische Siedlung Itamar könnte zur Enklave in einem Palästinenser­staat werden. Der palästinensische Ort Fasail würde auf israelischem Gebiet liegen. Der Widerstand auf beiden Seiten ist groß.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Itamar/Fasail

Die Anspannung ist an diesem Sonntagvormittag zu spüren, wenn man durchs Westjordanland fährt. Alle paar Kilometer kommen auf der Straße Nummer 60 Militärfahrzeuge entgegen, die Checkpoints sind mit schwer bewaffneten Uniformierten besetzt. Ein israelischer Soldat hat die Waffe im Anschlag, als er den weißen Toyota mit palästinensischem Kennzeichen zu sich heranwinkt und die Ausweispapiere des Fahrers kontrolliert.

Auf den letzten vier Kilometern auf einer Strecke zwischen einem Checkpoint südlich von Nablus und der Siedlung Itamar, die tief im Westjordanland liegt, sind nur noch wenige Fahrzeuge unterwegs - alle mit israelischem Kennzeichen. Ein junger orthodoxer Jude öffnet das Eisentor zur Siedlung und damit zu einer Welt, in der sich sandfarbene Einfamilienhäuser aneinanderreihen. Schilder weisen den Weg zu einer Myrtenproduktionsstätte, einer Obstplantage und einer Töpferei.

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Auf dem höchsten Punkt der Siedlung steht das mächtige Bauwerk der "Yona Menachem Rennert Synagoge", die "zur Erinnerung an die Helden von Itamar" errichtet worden ist, wie riesige Buchstaben über dem Eingang verkünden. Es ist eine Reverenz an die Gründer der Siedlung. Jeden Vormittag eilt Shai Malka, 34, dorthin für seine Tora-Studien. Nach der Heirat ist der Banker vor zehn Jahren hierhergezogen.

Welche Erwartung hat er, nachdem Israels Premier Benjamin Netanjahu angekündigt hat, ab dem 1. Juli mit der Annexion von Teilen des Westjordanlandes zu beginnen? "Ich glaube nicht, dass das passiert." Im Übrigen sei er gegen den Nahostplan von US-Präsident Donald Trump. "Wir sind hier, weil uns die Tora das sagt. Das ist das Land von Abraham. Wir lieben unser Land und bleiben. Daran kann weder Trump noch sonst irgendjemand etwas ändern." Warum er gegen Trumps Plan ist? "Es ist gut, dass man unser Land als unseres anerkennt. Aber Itamar muss inkludiert sein."

"Wir werden die Schaffung eines Terrorstaates im Herzen unseres Landes nicht akzeptieren."

Der US-Plan sieht die Möglichkeit der Annexion des Jordantals und der Flächen von fast allen der rund 130 Siedlungen vor. Aber 15 Siedlungen, darunter Itamar, würden als Enklaven in einem palästinensischen Staat bleiben, der auf der restlichen Fläche - rund 70 Prozent des Westjordanlandes - frühestens in vier Jahren entstehen könnte. Solange dürfen diese Siedlungen nicht ausgebaut werden.

"Wir werden die Schaffung eines Terrorstaates im Herzen unseres Landes nicht akzeptieren", sagt der Vorsitzende des Regionalrates Samaria, Jossi Dagan. "Wir werden die Isolierung von 15 Gemeinschaften nicht akzeptieren, genauso wenig wie ein Einfrieren von Planungen."

Wenige Tage vor der möglichen Umsetzung von Trumps Nahostplan wird in Itamar fleißig gebaut. Im Süden ist ein Firmensitz fast fertig. Neben dem bereits bestehenden Kindergarten gegenüber der Synagoge entsteht ein neuer. Der Bedarf ist da, denn Itamar ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Die 1984 gegründete Siedlung zählte 1994 nur 273 Einwohner, inzwischen sind es mehr als tausend.

Auf den Hügeln östlich von Itamar befindet sich eine ganze Reihe - selbst nach israelischem Recht illegaler - Außenposten. Der Ort und die Umgebung sind für häufige Gewalttaten sowohl von israelischer als auch von palästinensischer Seite bekannt. 2011 wurden fünf Mitglieder der Siedlerfamilie Fogel ermordet. Das UN-Büro zur Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (UNOCHA) berichtete wiederholt über eine überdurchschnittlich hohe Zahl an gewaltsamen Übergriffen von Siedlern aus Itamar gegenüber Palästinensern.

Ganz anders ist die Situation knapp 50 Kilometer entfernt im Jordantal. Hier lebt man nebeneinander und arbeitet miteinander. Ein Großteil der Bewohner des palästinensischen Ortes Fasail sind auf den Feldern der Siedlung Tomer beschäftigt. Es gibt ein Schild auf der Straße Nummer 90, das die Abzweigung zu beiden Orten zeigt. Aber während die Zufahrt zur Siedlung asphaltiert ist, kann man den Weg nach Fasail leicht übersehen, denn es führt nur ein staubiger Feldweg in den Ort.

"Wenn du etwas Geld hast, ziehst du woanders hin, wo es eine Zukunft gibt."

Über Generationen hinweg haben die Bewohner von Fasail Ziegen gehütet und ihr Ackerland bestellt. Die einstigen Weideflächen sind nun von Siedlungen verschlungen oder zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Die palästinensischen Männer haben daher praktisch nur zwei Möglichkeiten: für knapp drei Euro pro Stunde auf fremden Farmen zu arbeiten oder Fasail zu verlassen. "Jeder hier arbeitet in den Siedlungen, es gibt nichts anderes", sagt Ischad Taamra, 65, Mitglied des Dorfrates und Betreiber eines kleinen Lebensmittelgeschäfts. "Wenn du etwas Geld hast, ziehst du woanders hin, wo es eine Zukunft gibt."

Auch Fasail würde eine Enklave sein, ein palästinensischer Ort in einem erweiterten israelischen Staatsgebiet. Denn Trumps Nahostplan sieht vor, dass Israel einen rund zehn Kilometer langen Streifen entlang der jordanischen Grenze für sich beanspruchen kann, und Fasail läge in diesem Bereich. In dem Ort leben, wie in der jüdischen Siedlung Itamar, ebenfalls etwas mehr als tausend Einwohner. Anders als die 15 Enklaven der Israelis in einem möglichen palästinensischen Staat werden die 13 palästinensischen Gemeinden, die sich nach einer Annexion auf israelischem Territorium befinden würden, in Trumps Plan nicht genannt.

Fasail liegt zum Großteil im sogenannten C-Gebiet, das gemäß den Osloer Verträgen zur Gänze von Israel kontrolliert wird. Palästinenser dürfen in diesen Gebieten selbst auf ihrem Privatland keinen Brunnen graben, keine Gebäude errichten und keinerlei Infrastruktur anlegen, ohne vorab bei den israelischen Streitkräften eine Genehmigung zu beantragen. Zwischen 2009 und 2016 wurden von mehr als 3300 Anträgen von Palästinensern in C-Gebieten weniger als zwei Prozent bewilligt.

Der Verkäufer Bashar Abu Hassan, 23, zeigt den von Müll gesäumten Weg vom Geschäft im Zentrum Fasails zu einem kleinen Hof weiter östlich. Dort wurde drei Tage zuvor von israelischen Uniformierten eine Scheune niedergerissen, die Reste sind noch zu sehen. "Jahrelang haben sich die Bauern um eine Baugenehmigung bemüht, aber nie bekommen", sagt Ibrahim Abjat, der Bürgermeister von Fasail.

Vor einigen Tagen hat er eine Rechnung der israelischen Elektrizitätswerke für seine Gemeinde über umgerechnet 121 000 Euro zugeschickt bekommen, die er zahlen soll. "Aber ich weiß nicht, wie." Dass es die Rechnung gibt, wertet er als Indiz, "dass die Annexion bald kommt". Was er dann tun wird? "Warten, was die palästinensische Führung entscheidet."

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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