Die Temperatur von 41 Grad im Schatten, den es ohnehin nicht gibt, hält Tausende Palästinenser nicht ab. Von allen Seiten strömen sie zu dieser Kundgebung auf freiem Feld im Südwesten von Jericho. "Palästina steht nicht zum Verkauf" und "Nein zu einem palästinensischen Staat ohne dem Jordantal" steht auf Schildern. Viele haben zu dieser Demonstration gegen die geplante Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel die palästinensische Flagge mitgebracht, manche die gelbe der Fatah-Partei von Präsident Mahmud Abbas, dessen Porträt links hinter der Rednerbühne zu sehen ist. Auf der rechten Seite ist ein Bild von Palästinenserführer Jassir Arafat, dessen Geist die Redner immer wieder beschwören.
Der UN-Nahostgesandte fordert die Menschen auf, "am Traum eines Vaterlandes festzuhalten"
Es sind die Vertreter von UN, EU, Russland, China, Japan und Jordanien. Überraschend ist, welch emphatisches Bekenntnis alle zur Zwei-Staaten-Lösung abgeben, eine Woche vor dem von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigten Annexionsschritt. Rund 40 Diplomaten aus Dutzenden Ländern haben sich vor der Kundgebung im Sitz des Gouverneurs von Jericho zusammengefunden. Mit dabei: Michael Herold, Vizechef des deutschen Verbindungsbüros in Ramallah.
Als Erster spricht der UN-Nahostgesandte Nikolai Mladenow, der die Palästinener auffordert, "am Traum eines Vaterlandes festzuhalten". Gleich drei Mal fügt er hinzu: "Gebt nicht auf!" Das Ziel von Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern müsse sein: "Frieden!" - das wiederholt er gleich sechs Mal. Der UN-Vertreter ruft auch zu einer Schweigeminute für den Palästinenser Ijad Halak auf, der vor drei Wochen durch Schüsse israelischer Polizisten getötet wurde, die den Autisten für einen Terroristen gehalten hatten.
Der EU-Vertreter Sven Kühn von Burgsdorff kommt "gleich zur Sache", wie er es nennt: "Annexion ist ein Bruch internationaler Vereinbarungen." Die EU unterstütze weiter eine Zwei-Staaten-Lösung innerhalb der Grenzen von 1967, als Israel unter anderem das Westjordanland und Ostjerusalem erobert hatte. Beistand gab es auch von 1080 Politikern aus 25 europäischen Staaten, die sich in einem offenen Brief an ihre Außenminister wandten und ein entschlossenes Handeln gegen die geplante Annexion einfordern. Zu den 69 deutschen Unterzeichnern zählen unter anderem die gesamte Partei- und Fraktionsspitze der Grünen, die Führung der Linken und einzelne SPD-Abgeordnete.
Es ist an dem langjährigen Nahostverhandler Saeb Ereket, sich bei der Kundgebung in Jericho für die internationale Unterstützung zu bedanken. Er hat noch gar nicht zu sprechen begonnen, da brennen in Sichtweite schon Barrikaden. Plastikplanen und Reifen gehen in Flammen auf. Jugendliche Palästinenser liefern sich Straßenschlachten mit israelischen Soldaten, die die Zufahrtswege nach Jericho blockieren. Nach einer Evaluierung der Situation sei entschieden worden, Fahrzeugen die Zufahrt nicht zu erlauben, zitierte die Times of Israel einen Armeesprecher.
Etwa 25 Autominuten entfernt flattern Dutzende israelische Fahnen im Wind, auf Transparenten steht: "Ja zu Souveränität über das Land Israels, Nein zu Palästina". Drei Dutzend Befürworter einer Annexion haben gegenüber dem Sitz des Ministerpräsidenten ein Protestcamp errichtet, drei Tage wollen sie bleiben. Netanjahu ist als lebensgroßer Pappkamerad dabei.
Ein Protestcamp ist es deshalb, weil die Teilnehmer zwar Netanjahus Annexionspläne unterstützen, aber nicht einen Staat für die Palästinenser, wie es der Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump ebenfalls vorsieht. "Ich hoffe, der Traum wird wahr und er entwickelt sich nicht zu einem Albtraum", sagt die frühere Justizministerin Ajelet Schaked. "Ein palästinensischer Staat wäre gefährlich." Auch Netanjahus Schwager Haim Ben Artzi tritt auf und ruft den Regierungschef dazu auf, einseitig vorzugehen und den Trump-Plan zu vergessen. Seine Losung lautet: "Souveränität ohne Trump-Plan! So können wir die Grenzen Israels im Osten bestimmen."