Er war reich an peinlichen Momenten, der zurückliegende Wahlkampf in Großbritannien. Wenn die führenden Politiker in den Fernseh- und Radiostudios befragt wurden, taten sich oft Abgründe auf. Premierministerin Theresa May antwortete auf buchstäblich keine Frage, sondern redete einfach irgendwas. Es war schmerzhaft. Die Schatten-Innenministerin Diane Abbott versuchte immerhin auf Fragen zu antworten, aber sie war grundsätzlich so schlecht vorbereitet, dass sie ins Stammeln geriet, sich selbst widersprach und ihre Sätze mit sehr langen "Äähs" garnierte. Es war mitleiderregend. Labour-Chef Jeremy Corbyn gelang es, die neuen Pläne der Partei zur Kinderbetreuung vorzustellen und auf die Frage, was diese kosten würden, keine Antwort zu haben, weshalb er begann, hektisch auf seinem iPad herumzutippen. Es war traurig.
Wahlkampf:Was Martin Schulz von Jeremy Corbyn lernen kann
Der Erfolg des Briten ist ein Hoffnungsschimmer für die SPD: Der Labour-Chef konnte binnen 50 Tagen einen Rückstand von 24 Prozentpunkten fast komplett aufholen. Kann Schulz das kopieren?
Dabei sagt es einiges über das politische Personal im Vereinigten Königreich, dass Corbyn im Wahlkampf noch die beste Figur machte. Wer in den zurückliegenden Wochen die Kampagnen verfolgte, musste sich fragen: Ist das wirklich das Beste, was dieses Land zu bieten hat? Großbritannien hat so viele herausragende Politiker hervorgebracht. Man denke - natürlich - an Winston Churchill, der das Land durch den Zweiten Weltkrieg führte. Man denke an Clement Attlee und seine sozialen Reformen. An den großen Redner David Lloyd George. An Benjamin Disraeli, an William Gladstone oder William Pitt den Jüngeren. Man könnte diese Liste lange fortsetzen, und ganz gleich, was man von ihrer Politik hält: Selbstverständlich gehört auch Margaret Thatcher zu den ganz großen Persönlichkeiten der britischen Politik.
In der Blase von Westminster fehlt es an Lebenserfahrung
Im Vergleich zum aktuellen Personal wirkt selbst der Schubidu-Politiker David Cameron, der dem Land das Brexit-Referendum eingebrockt hat, fast wie ein Staatsmann. Immerhin konnte er reden und ließ sich beraten. Oft übrigens von Finanzminister George Osborne, dessen Rat er allerdings in einer Frage nicht folgte: Osborne hatte dringend von einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft abgeraten. Er hielt das Thema für zu komplex und einen Austritt für fatal. Cameron hingegen dachte, das kriege er schon gewuppt.
Vermutlich ist es eine ewige Klage, dass die politische Klasse früher von anderem Format war, und vermutlich wird sie von jeder Generation geäußert. Aber es ist schon bemerkenswert, wer sich jetzt auf den Regierungs- und Oppositionsbänken versammelt hat. Bei Labour ist das Problem, dass weite Teile der Fraktion sich weigern, in Corbyns Schattenkabinett zu dienen, weil sie seinen linken Kurs ablehnen. Einige Hochkaräter verließen das Parlament sogar. Corbyn musste nehmen, wen er kriegen konnte, unter anderem jene Diane Abbott, die nun als Sinnbild für politische Inkompetenz gilt. Bei den Tories sind zu viele Abgeordnete versammelt, deren einziger Job vor dem Eintritt ins Parlament darin bestand, nach der Universität als Berater von anderen Abgeordneten gearbeitet haben. Es fehlt in der Partei an Erfahrung außerhalb der Blase von Westminster.
Nicht alles ist düster: Noch immer verfügen die großen Parteien über Personen von Können und Kraft. Wenn die Tories einen passenden Zeitpunkt gefunden haben, Theresa May abzusägen, könnte ihre Nachfolgerin Innenministerin Amber Rudd werden, eine Frau von schnellem Geist. Der vielleicht interessanteste Labour-Politiker ist der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Der sitzt zwar derzeit nicht im Parlament, doch das könnte sich bei den nächsten Wahlen ändern.
Sicher hingegen ist: Wenn die nächste Generation dereinst auf die Galerie der Premierminister blickt, wird sie zumindest bei den Namen Cameron und May nicht darüber klagen, dass die Politiker früher mehr Format hatten.