Wahlkampf:Was Martin Schulz von Jeremy Corbyn lernen kann

Lesezeit: 3 Min.

Der Kanzlerkandidat der SPD sollte sich wieder auf sein Herzensthema Gerechtigkeit konzentrieren. (Foto: dpa)
  • Jeremy Corbyn hat in Großbritannien geschafft, wovon Martin Schulz träumt: Er hat in nur wenigen Wahlkampfwochen viel Boden gut gemacht.
  • Sein Erfolg zeigt: Der Kanzlerkandidat der SPD sollte sich wieder auf sein Herzensthema Gerechtigkeit konzentrieren.
  • Und er sollte aufhören, es allen recht machen zu wollen.

Von Stefan Braun, Berlin

Es ist einfach zu verständlich: Kaum stand das Ergebnis aus Großbritannien fest, meldete sich schon Martin Schulz zu Wort. Via Twitter jubelte der SPD-Kanzlerkandidat über eine grandiose Aufholjagd von Jeremy Corbyn, gratulierte dem Labour-Chef und kündigte sofort an, dass er ihn in allernächster Zeit treffen werde.

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Der neue Glanz des Briten soll auch den Deutschen treffen. Man kann es Schulz in seinem Umfragetief nicht verdenken.

Corbyn hat geschafft, was Schulz sich erträumt: Er hat einen nachgerade gigantischen Rückstand aufgeholt. Binnen 50 Tagen sind aus 24 gerade mal zwei Prozentpunkte geworden. Was wäre das schön für den Sozialdemokraten. Er liegt aktuell zwar "nur" um rund 14 Punkte hinter der Union und Angela Merkel. Das aber fühlt sich an, als sei die Kanzlerin längst uneinholbar davon gezogen.

Umso mehr stellt sich die Frage: Was kann Martin Schulz von Corbyn lernen? Umgekehrt gefragt: Was hat Corbyn, das Schulz nicht hat?

Die Briten haben sich an Corbyn gerieben

Die wahrscheinlich größte Stärke des Briten liegt in seiner Klarheit. Er hat sich nicht verbiegen lassen, hat in seinem Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit in Großbritannien nicht nachgelassen. Die Leute, vor allem viele junge Menschen, haben gespürt, wofür er kämpft. Sie haben bei ihm immer und immer wieder erkennen können, was ihn umtreibt. Kauzig zwar, aber stets empathisch. Kein eleganter, glattgeschliffener Kieselstein. Eher ein kleines Stück kantiger Fels. Nicht besonders groß, aber eigen. Und sich unbeirrbar der Ungerechtigkeiten in der britischen Gesellschaft annehmend.

Das hat Energie erzeugt, das wahrscheinlich größte Pfund in einem Wahlkampf. Die Menschen haben sich an ihm gerieben, aber sie haben gespürt und gefühlt, was ihn mit größter Leidenschaft antreibt. Und das war nicht der Ehrgeiz, ganz oben zu stehen. Es war der Wunsch, das Leben für Menschen, denen es nicht gut geht, besser zu machen. So einfach, so wirkungsvoll.

Und Schulz? Er ist tatsächlich mit einem ähnlichen Gefühl gestartet. Bei weitem nicht so links-sozial wie Corbyn. Aber mit zwei Qualitäten, die zunächst mächtig gewirkt haben. Auch bei Schulz hatten die Menschen das Gefühl: der hat sein Herz am rechten Fleck und seine Leidenschaft für Politik, für Gerechtigkeit und für Europa ist echt.

Keine Frage, der Hype um ihn ging zu schnell und hat ihm geschadet. Aber er kam auch nicht aus dem Nichts, sondern speiste sich aus diesem Grundgefühl, das die Menschen, vor allem die in und rund um die SPD, beflügelt hat, als er an den Start ging.

Sein größtes Problem ist, dass dieses Gefühl verloren gegangen ist. Statt es zu füttern, statt die 100 Prozent Zustimmung auf dem Sonderparteitag zu nutzen, um sich auf das zu konzentrieren, was ihn im Herzen antreibt, begann Schulz, machttaktisch zu agieren.

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Sogar Kritiker geben zu, dass der Labour-Kandidat etwas besitzt, das Premierministerin May fehlt: Charisma. Über einen alten Mann, der die Jungen begeistert und in diesem Wahlkampf fast alles richtig gemacht hat.

Von Matthias Kolb

Schulz sollte sich wieder auf sein Herzensthema konzentrieren

Er hat plötzlich nicht mehr nur über die SPD und seine Ziele im Wahlkampf gesprochen, er hat auf kleine Siege gesetzt, er hat Kontakte zu Oskar Lafontaine lanciert und immer mehr über andere Parteien und Bündnisse, auch wechselnde Bündnisse, geredet. Das hat erstens nichts gebracht (siehe Saarland) und ihn zweitens ausgerechnet in einem Moment kleiner gemacht, in dem die SPD nach Jahrzehnten erstmals wieder aus sich selbst heraus Stärke entwickelte.

Dazu kam, dass er zwar 100 Prozent der Stimmen erhielt, aber danach nicht der Boss sein wollte. Er wollte die Partei nicht nach sich ausrichten, sondern hat gefühlt hunderttausend verschiedene Stimmen in gefühlt tausend verschiedene Wahlprogrammpunkte einfließen lassen. Das stärkt nicht, das bündelt keine Energie, das zerfleddert. Und es müsste ihn lehren, sich wieder auf sein zentrales Ziel zu konzentrieren, das sich mit seinem Herzstück Gerechtigkeit verbindet.

Die Frage, ob eine Gesellschaft gerecht aufgestellt ist, ob der Reichtum fair verteilt ist, ob es Menschen gibt, denen mehr geholfen werden muss als bisher: Diese Frage darf und muss immer wieder neu gestellt werden. Und es wäre schlicht falsch und verlogen zu behaupten, dass beim Großthema Familie von der Kita über die Schule bis zu Pflege und Rente wirklich alles in diesem Land gut ist. Entsprechend ließe sich das zu einem großen Thema bündeln - wenn man sich entscheidet, in einem Wahlkampf nicht allen und jedem gerecht zu werden.

Angela Merkel ist eine schwierigere Gegnerin als Theresa May

Es wird spannend, ob Schulz sich darauf besinnt. Ob ihm das noch einmal hilft. Und ob er die nötige Geduld und Gelassenheit dafür findet. Über zwei Dinge nämlich kann er sich zwar trefflich aufregen, aber er kann sie nicht ändern: Dass die Welt da draußen - mit Katar-Krise, den Anschlägen im Iran, mit Trump und Brexit und den britischen Briten - immer wieder alles andere überlagert. Und dass Angela Merkel in Berlin eine andere Gegnerin ist als Theresa May in London.

Die Kanzlerin hat bislang keinen Fehler gemacht, die Premierministerin dagegen viele. May konnte mit ihrem eigenen Erbe als Innenministerin nicht umgehen. Sie hat in der Not plötzlich zentrale Menschenrechte in Frage gestellt. Und sie ist am Ende erkennbar nervös geworden. Das alles wird Angela Merkel, Stand heute, nicht passieren. Und es wird Schulz das Leben entsprechend schwer machen. Da er es aber nicht selbst beeinflussen kann, sollte er darauf auch nicht zu viel Zeit verschwenden.

Denn wenn dieses Jahr etwas gezeigt hat, dann die Tatsache, dass kein Mensch sagen kann, wie die Welt und die Stimmung in drei Monaten aussieht.

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