Als eine Verteidigerin wird Aung San Suu Kyi an diesem Dienstag den Gerichtssaal in Den Haag betreten. Der Birmanin, Regierungschefin von Myanmar, ist eine solche Rolle nicht fremd, man kann sogar sagen, dass sie damit groß geworden ist. Früher jedoch hat sie Ideale verteidigt: Freiheit, Menschenrechte, demokratische Prinzipien. Weil sie sich gegen die Junta stemmte, weil sie tapfer kämpfte gegen das Unrecht, das die Generäle über ihr Land gebracht hatten, wurde sie zu einer Ikone, bekam sogar den Friedensnobelpreis.
Früher fiel es den meisten Menschen nicht schwer, Aung San Suu Kyi und Nelson Mandela in einem Atemzug zu nennen. Für viele Millionen Menschen, die Freiheit und Versöhnung ersehnten, waren diese beiden Menschen Vorbilder. Doch "die Lady", wie sie immer noch genannt wird, verteidigt inzwischen leider ganz andere Vorstellungen: Aus der Menschenrechtlerin ist eine Machiavellistin geworden, sie tritt nicht mehr für die Rechte der Geknechteten ein, sondern schmiedet Pläne, um ihre eigene Macht zu vermehren.
Die Verwandlung der Aung San Suu Kyi dürfte auf besonders bittere Weise auch bei ihrem Auftritt vor dem Internationalen Gerichtshof deutlich werden. Denn man braucht nicht darauf zu hoffen, dass sie das Wort für die muslimische Minderheit erheben wird. Stattdessen dürfte Aung San Suu Kyi viel daran setzen, das militärische Vorgehen Myanmars zu rechtfertigen und dabei abzustreiten, dass im Westen ihres Landes, unter dem Kommando der myanmarischen Generäle, ein Genozid geschah.
Das afrikanische Land Gambia hat das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengt; es soll klären, ob sich Myanmar des Völkermords an den Rohingya schuldig gemacht hat. Suu Kyi ist auch Außenministerin ihres Landes, in dieser Funktion wird sie in Den Haag sprechen. Ihr Auftritt folgt einem innenpolitischen Kalkül: Zu Hause wird sie schon dafür gefeiert, dass sie nach Europa reist, um ihr Land zu verteidigen.
Gut möglich, dass dahinter geheime Absprachen stehen
Das bedeutet aber auch, dass sie sich schützend vor das Militär stellen wird. Ein bizarrer Moment, denn das sind jene Kräfte, die sie einst einsperrten und unterdrückten. Gut möglich, dass dahinter geheime Absprachen stehen. Suu Kyi schirmt jetzt die Generäle ab, die im Gegenzug eine Verfassungsänderung zulassen, damit sie bald zur Präsidentin gewählt werden darf.
Mit einem solchen Deal würde sie sich viel Macht erkaufen, doch sie zahlt einen doppelten Preis. Sie verrät nicht nur ihre alten Ideale, sondern tut auch nichts für die Rechte der vertriebenen Rohingya. Sie weiß, dass die Minderheit bei den dominierenden Birmanen extrem verhasst ist. Und sie hat opportunistisch bislang jeden Schritt vermieden, der sie Sympathien im Mehrheitsvolk kosten könnte, zu dem sie selbst gehört.
Wenn Aung San Suu Kyi aber als Anwältin der Generäle auftritt, anstatt Gewalt gegen die Rohingya anzuprangern, paktiert sie mit den Tätern. Dann wird es keinen Weg mehr geben, ihren Ruf in der Welt zu retten, auch wenn sie der Schritt zu Hause erst mal stärker machen wird.
Wie sie ihr Land Myanmar aus der Isolation führen will, sollte das UN-Gericht einen Völkermordvorwurf bestätigen, bleibt Aung San Suu Kyis Geheimnis. Die Last einer Komplizenschaft mit den Generälen wird sie nie mehr loswerden.